Massimo Perinelli

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Lebenslauf

Massimo Perinelli, Historiker, hat von 2001–2016 an der Universität zu Köln geforscht und gelehrt. Seit 2016 arbeitet er als Referent für Migration bei der Rosa Luxemburg Stiftung in Berlin. Er ist seit 1998 Mitglied bei Kanak Attak, war 2013 Mitbegründer der Kölner Initiative ›Keupstraße ist überall‹ und Mitinitiator des Tribunals ›NSU-Komplex auflösen‹ 2017.

Quelle: Verlag / vlb

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Cover des Buches Erinnern stören (ISBN: 9783957324511)
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Rezension zu "Erinnern stören" von Lydia Lierke

Catastrophia
Ein längst überfälliges und lehrreiches Buchprojekt

Der 9. November wird in der bundesdeutschen Erinnerung mehr und mehr mit dem Jahr 1989 verbunden, die Erinnerung an die sogenannte "Reichskristallnacht" tritt dahinter oft zurück. Der Mauerfall wird verbunden mit einer friedlichen Revolution, Hoffnung, der langersehnten Einheit einer deutschen Nation - doch wer ist damit gemeint? Das Buchprojekt, das 30 Jahre nach dem Mauerfall das ambitionierte Ziel hat, verschiedene Erinnerungsperspektiven in einen Austausch zu bringen, möchte gängige Narrative hinterfragen und den Blick auf oft übersehene Perspektiven richten.

So kommen Jüdinnen und Juden zu Wort, die schildern, welche Sorgen die schwarz-rot-goldenen Fahnenmeere und "Wir sind das Volk"-Rufe bei ihnen auslösten, es wird kritisiert, dass die Erinnerung an den Mauerfall als "Selbstbefreiung" der Bevölkerung die Erinnerung an die deutsche Verantwortung nach der Shoah zunehmend überlagert. Migrantische Perspektiven werden beleuchtet, wissenschaftliche Beiträge setzen sich mit den unterschiedlichen Erfahrungswerten der sogenannten Gastarbeiter*innen und der in der DDR beschäftigten Vertragsarbeiter und den unterschiedlichen Auswirkungen des Mauerfalls auf diese auseinander. Akribisch wird aufgearbeitet, wie die deutsch-deutsche Teilung sich auch auf migrantische und migrantisierte Communities auswirkte, wie die scheinbar friedliche Revolution gleichzeitig zu einem Erstarken des Rassismus und Antisemitismus führte, wie die DDR pauschal als zu überwinden dargestellt wurde und wird und was dies für Menschen bedeutet, die nach dem Zusammenbruch des Systems damit konfrontiert wurden, dass ihr gesamtes Leben und ihre Überzeugungen keinen Platz mehr im neuen Deutschland haben. Dabei wird nie idealisiert oder verharmlost, sondern betont, dass das Nebeneinander von Perspektiven auch in den einzelnen Menschen existiert - wenn beispielsweise einerseits Erleichterung herrscht, dass die Mauer gefallen ist, andererseits aber Sorge und Ängste dort, wo damit auch die sozialen Sicherungen der DDR weggebrochen sind und die Treuhand viele Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzte. Es wird also auch für eine differenzierte, kritische, aber auch nicht ideologisch-einseitige Auseinandersetzung mit der DDR geworben.

Ausgehend von der durch Michael Rothberg eingeführten Methodik der multidirektionalen Erinnerung soll das Buch gerade keine Opferkonkurrenz aufbauen und geht nicht davon aus, dass gesellschaftliche Erinnerungsräume begrenzt sind. Stattdessen sollen durch Vergleiche (keine Gleichsetzungen!) beispielsweise autochthon-ostdeutscher und muslimisch-westdeutscher Lebenswelten und dortige Gemeinsamkeiten etwa im Gefühl der kollektiven Abwertung durch die westdeutsche Dominanzgesellschaft neue Verbindungen entstehen, empathische Rückbezüge möglich werden. Multidirektional ist daher in diesem Buch nicht nur in Bezug auf die Perspektiven zu verstehen, wo muslimische, jüdische, ost- und westdeutsche, klassistisch deprivilegierte und intellektuelle Stimmen nebeneinanderstehen. Auch methodisch gehen Interviews mit Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen, Künstler*innen, wissenschaftliche Beiträge, Tagebucherinnerungen und aktivistische Texte ineinander über, werden innerhalb des Buchs Bezüge dargestellt.

Ich persönlich fand insbesondere die Auseinandersetzung mit der vietdeutschen Community in Deutschland und ihrer internen, durch die Teilung und den Vietnamkrieg und widerstreitende Positionen und Ideologien geprägten Spaltungen sehr lehrreich, außerdem die jüdischen Perspektiven auf den Mauerfall und das Interview mit Naika Foroutan, die darin die Frage der Vergleichbarkeit ostdeutscher und muslimischer Identität und Diskriminierungserfahrungen reflektiert.


Das Buch ist mit seinen knapp 500 Seiten nicht mal eben so nebenbei zu lesen und ich denke, dass ich durch meine Vorkenntnis bezüglich Erinnerungskultur/multidirektionaler Erinnerung und der Debatte um die Grenzen von Vergleichbarkeit, Gleichsetzung und die Gefahr von Relativierungen einen sehr schnellen Zugang gefunden habe. Gerade, weil in dem Buch aber nicht nur wissenschaftliche Beiträge enthalten sind, sondern auch Interviews, Berichte von Initiativen und Kunstprojekte, denke ich, dass man auch aus unterschiedlichen Perspektiven einen guten Zugang zum Buch bekommen kann. Ich würde sagen, dass das Buch deshalb nicht nur selbst ein multidirektionales Projekt ist, sondern auch multidimensional und multiperspektivisch erschlossen werden kann/muss/sollte. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich aus diesem Buch wichtige Debatten ergeben werden.

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