Cover des Buches Raumpatrouille (ISBN: 9783462045673)
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Rezension zu Raumpatrouille von Matthias Brandt

Raumpatrouille

von Buecherschmaus vor 7 Jahren

Rezension

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Buecherschmausvor 7 Jahren
Eine Kindheit in der alten Bonner Republik. Einige Autoren haben sich schon daran begeben, über eine solche zu schreiben, und besonders diejenigen LeserInnen, die selbst in den Sechziger und Siebziger Jahren großgeworden sind, werden dabei immer wieder auf eine leicht verklärte Zeitreise geschickt. Teewurst und Fürst-Pückler Eis, Kassettenrekorder und Telefone in Brokathülle, James Last und Ricky Shane, Wim Thoelke und Günter Netzer – wen überfällt da nicht dieses besondere Gefühl, das eine Mischung aus träg, langweilig, aber auch irgendwie schön wohlig war. Und das wohl weniger ein Zeitgefühl, denn es blendet überwiegend die negativen Vorkommnisse aus, als ein Gefühl der Kindheit war. Das Gefühl einer noch weitgehend unverplanten, nicht so eng vertakteten Kindheit.
Und so fährt auch der Protagonist in „Raumpatrouille“ mit seinem Bonanzarad durch die Seiten und lässt die Zeit auf wundersame Weise wiederauferstehen.
Es ist unzweifelhaft ein autobiografischer Blick, der hier von Matthias Brandt geworfen wird. Auch wenn „Raumpatrouille“ alles andere geworden ist, als ein Buch, das Einblick in das Leben der Kanzlerfamilie Brandt gewähren will oder gar in irgendeiner Form mit der Familie, speziell dem berühmten Vater abrechnen möchte.
„Der Mann im Fernsehen war für mich eine Fiktion.“
Zwar ist Willy Brandt quasi als Hintergrundmusik im ganzen Buch präsent, aber eben eher als eine große Abwesenheit. Als Abwesenheit, die jedoch weniger schmerzt, als als gegeben hingenommen wird. Hier schaut jemand ohne Bitterkeit, ein wenig versonnen, geradezu staunend manchmal und leicht spöttisch auf seine Kindheit zurück, die so gar nicht „normal“ war, obwohl das Kind sich gerade das oft gewünscht hätte.
So wächst er auf in der großen Villa mit Park am Venusberg, umgeben von Wachleuten, mit denen er ein überwiegend freundschaftlich-familiäres Verhältnis pflegt, viel allein oder mit Erwachsenen, zum Beispiel dem ziemlich vertrottelten alten Nachbarn, mit dem sich wunderbar Kakao trinken lässt und der der alte Bundespräsident Heinrich Lübke ist, von seiner Frau liebevoll „Heini“ gerufen. Oder er fährt mit seinem Vater und dessen Kollegen Herbert Wehner im Park Fahrrad, ein Treffen, das als Versöhnung zwischen den beiden Kontrahenten gedacht, mangels der fahrpraktischen Kenntnisse Brandts aber als Desaster endete – Willy „kenterte“ im Karottenbeet.
„Raumpatrouille“ enthält auch solche Anekdoten, die durch ihre berühmten Protagonisten natürlich eine besondere Note bekommen, sie sind aber niemals voyeuristisch oder gar wichtigtuerisch und außerdem eher eine Randerscheinung, und ganz sicher nichts für ein Geschichtsbuch. Denn:
„Alles, was ich erzähle, ist erfunden. Einiges davon habe ich erlebt. Manches von dem, was ich erlebt habe, hat stattgefunden.“
hat Matthias Brandt dem Erzählten vorangestellt.
Viel wichtiger als Biografisches auszubreiten, ist ihm, ein Gefühl für Kindheit im Allgemeinen und eine Kindheit in dieser speziellen Zeit zu vermitteln. Einer Zeit, die Kindern vielleicht einfach mehr Raum und vor allem Zeit ließ als die heutige. Und so verbrachte der kleine Protagonist eben viele Stunden in seinen Fantasien, seinen Gedanken und Träumen, schuf sich in seinem familiären Schutzraum, der ohne Zweifel da war, besonders die Mutter Rut taucht immer wieder als liebender, verlässlicher Ruhepunkt auf, kleine Fluchten, erkennt aber auch eigene und äußere Grenzen, zum Beispiel als ihn einmal, die Waffe eines Wachmanns war ihm zufällig in die Hand gekommen, eine unbändige Wut packt. Das Erschrecken über sich selbst hat Matthias Brandt in die erste seiner insgesamt 14 Geschichten gepackt, die zusammen dieses Buch bilden. Impressionen einer Kindheit. In einer anderen Geschichte entgeht die Villa nur knapp einem Brand, als der Protagonist eine Zaubernummer übt. Sicher hat die Mondlandung von 1969, die jeden, der sie bewusst erleben konnte, nachhaltig geprägt hat, einen Einfluss auf den Titel genommen, sicher auch die gleichnamige Fernsehserie, er ist aber auch ein schönes Bild für die Art, wie Matthias Brandt an seine Kindheitserinnerungen herangeht. Wie in eine ferne Galaxie, wie auf Streifzug bewegt er sich durch seine frühen Jahre.
Matthias Brandt bleibt immer im Horizont seines kindlichen Ichs, das so um die 8-10, selten auch etwas älter ist. Eine genaue Datierung fehlt. Er ist aber nicht gefangen in diesem Kind, sondern schaut, wenn auch ohne besserwisserische Kommentare oder Psychologisierungen, auf diese zurück. Er tut das tastend, manchmal fast ein wenig zweifelnd, zurückgenommen, fast fragil, ausgesprochen achtsam und neugierig. Auch Selbstironie blitzt immer wieder durch. Sprachlich ist das Buch klar und stilistisch elegant.
Stellt man das berühmte Personal einmal beiseite, mögen die einzelnen Geschichten in ihrer Lakonie vielleicht etwas fast Belangloses haben. Stellt man sie aber in einen atmosphärischen Zusammenhang, liest sie vielleicht noch zusammen mit ihrem „Soundtrack“ – der befreundete Musiker Jens Thomas, mit dem Matthias Brandt auch auf Lesereise ging, veröffentlichte in enger Zusammenarbeit die CD „Memory Boy“, die praktisch die zweite Hälfte eines Projekts bildet – dann ergeben sie bei aller Lakonie ein zauberhaftes Porträt einer besonderen Kindheit, die doch in Vielem eben auch eine ganz normale, typische Kindheit war.
Aber ganz beiseitelassen kann man die berühmten Familienmitglieder ja doch nicht. Und so wird das letzte Kapitel, das eine große, wenn auch sehr leise Liebeserklärung an den Vater ist, besonders eindrücklich.
„Ich schaute auf das zu große, weiße Haus, in dem wir uns immer so leicht verpassten. Hier wollte ich sein. Bei ihnen. Für mich. Nirgendwo sonst."
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