Rezension zu "Jahrbuch der Lyrik 2023" von Matthias Kniep
„ich habe einen text geschrieben dessen veröffentlichung / man mir vorschnell aus den händen nimmt / keine empörung / man stellt mich ruhig: ich hätte keine eigene stimme / meine stimme sei kollektivgut“ (einige Zeilen aus „reparatur“, Seite 111)
Inhalt
Seit 2022 ist Matthias Kniep der Herausgeber des jährlich erscheinenden Jahrbuchs der Lyrik. Diesmal ist seine Mitherausgeberin die Dichterin Sonja vom Brocke. Die hier vorliegende Sammlung umfasst zwölf Kapitel und präsentiert eine Auswahl moderner, deutschsprachiger Lyrik aus mehr als sechshundert eingesandten Gedichten.
Es ist eine weit gefächerte Vielfalt an Themen, Menschen, Beziehungen, Natur, immer verbunden mit Gedanken und Gefühlen, Fragen, Um- und Unterbrüchen, und dem Versuch, den eigenen sprachlichen Ausdruck zu finden, oder neu zu erfinden.
Umsetzung
Diesmal erfolgte die Auswahl zum ersten Mal in einem anonymisierten Verfahren, die Herausgebenden kannten die Namen der Personen nicht, von denen die eingesandten Gedichte stammten. Obwohl die Herausgebenden doch einige Verfasser und Verfasserinnen an der Art ihres Schreibens erkennen konnten, genau gesagt waren es 34 der insgesamt 123 in diesem Buch präsentierten Dichter und Dichterinnen, so beeinflusste dies, wie sie im Nachwort betonen, ihre Entscheidungen nicht. Eine Ausnahme bilden nur die im Kapitel XII zu lesenden Gedichte, da diese von 2022 verstorbenen Schriftstellern stammen. Es sind dies die einzigen Gedichte, die über dem Titel auch den jeweiligen Namen zeigen, alle anderen Gedichte scheinen nur mit dem Titel im Buch auf. Wer wissen will, von wem die Gedichte stammen, findet am Buchende, nach dem Nachwort der Herausgebenden, ein komplettes Inhaltsverzeichnis, gefolgt von kurzen Angaben zur Person der alphabetisch gereihten Namen der Autoren und Autorinnen.
Fazit
Ein Gedicht ist immer auch die kürzeste Form einer Geschichte, die mit diesen wenigen Worten erzählt wird und die eigenen Gedanken und Gedankenbilder anregt. Diese Leseerfahrung teilte sich mir in nicht allen der hier präsentierten Gedichte mit, manchmal steht für mich das vielfältige Spiel der Sprache sehr gewollt im Vordergrund, Lücken und Gedankensprünge machen die Texte durch ihre Unruhe schwer fassbar. Dennoch, oder gerade deshalb, ist das Jahrbuch der Lyrik 2023 ein interessanter Wegweiser durch die vielen neuen, auch experimentellen, Ausdrucksformen der deutschsprachigen Lyrik.