Das Büchlein hat mich überaus angesprochen, beginnend schon durch seine Gestaltung als schön eingebundenes Hardcover.
Der Titel „Am Grunde ist Nacht“ weist schon auf einen Tenor der Lyrik hin, ich habe eher melancholische Gedichte erwartet – und meine Erwartung ist überwiegend erfüllt worden. Diese etwas „dunklere“ Art der Gedichte spricht mich sehr an, weil ich ebenfalls über eine schwerblütige Ader verfüge.
Bereits das Gedicht auf dem Buchrücken geht in diese Richtung. Hier wird auch die Verwendung von Sprachbildern schön verdeutlicht, denn der Autor nimmt gerne, so mein Eindruck, eindeutig konnotierte Begriffe und verkehrt sie in ihr Gegenteil. In diesem Beispiel ist es das Licht, das uns sonst überwiegend als positiv und wichtig präsentiert wird – bei ihm ist die Dunkelheit – also die Abwesenheit von Licht – mindestens ebenso erstrebenswert.
Folgend möchte ich meine Eindrücke zu einigen der Gedichte aus dem Band schildern, vor allem zu solchen, die im wahrsten Sinn des Wortes etwas in mir zum Klingen gebracht haben.Dazu gehört definitiv der „Frühlings-Blues“ (S. 12).
„Wie anders man
Doch schauen kann
Auf den Frühling hin.
Bedauernd gar
Wie dieses Jahr,
Da ich traurig bin.“
Das kann ich gerade in meiner jetzigen seelischen Verfassung – die geprägt ist durch einen Verlust – so gut nachvollziehen. Die Moll-Saiten meiner Seele klingen dem Gedicht noch lange hinterher. Der Autor schafft es, hier – neben der bereits angesprochenen Verdrehung einer positiven in eine eher negative Sache – durch kurze, prägnante Verse den Finger genau in die Wunde zu legen. Das Reimschema AA-B-CC-B ist meines Erachtens ungewöhnlich – ich kenne kein anderes Gedicht mit diesem Schema – aber sehr passend, vor allem die B-Verse bringen den Kontrast (Frühling-Trauer) sehr schön zum Ausdruck.
„Ein Rasenstück“ (S.15)
Eine häufig von Matthias Rürup verwendete Gedichtform ist das Sonett, das ich auch überaus schätze. Oben genanntes Gedicht soll beispielhaft für die vielen Sonette stehen.
Vor allem die Schluss-Dreizeiler sind inhaltlich für mich wieder sehr aussagestark.
„So, scheint mir, wie ich den Rasen erst Einmal blühen lasse vor
dem Stutzen – So läuft es auch in unserm Leben.
In der Kindheit erzählt man dir, du wärst begabt, musst dein Talent
nur nutzen:
Dann beschneidet man dein Streben.“
Menschliche Sozialisation und menschliches Umgehen mit der Natur: Ohne Ein- und Abgrenzung geht es in unserer Gesellschaft offenbar nicht.
Das Gedicht zeigt übrigens – wie ganz viele andere – ganz deutlich seine Vorliebe für ein lyrisches Element, das Enjambement. Der Zeilensprung macht die Sprache in seinen Gedichten fast immer reicher, weil die Betonung abhängig davon variiert werden muss.
In einigen Gedichten finde ich ein Detail jedoch gewöhnungsbedürftig bis irritierend: Eine neue Zeile beginnt gewöhnlich mit einem Majuskel, aber wenn der Zeilensprung ein Wort trennt, wirkt die Großschreibung des Restbegriffs für mich fehl am Platze.
Apropos Sonett: Das „Zerrunkste Sonett“ auf Seite 33 spielt sehr schön mit der Abhängigkeit von der Form und dem schlussendlichen Bekenntnis zu ihr aus ästhetischen Gründen. Sehr amüsant!
„I Robot“ (S. 62)
„Abschalten können
Ist ein sehr komplizierter
Technischer Vorgang.“
Wer bekommt angesichts des Titels nicht feuchte Augen? Zumindest der, dem die Storys von Isaac Asimov bekannt sind und wer die Musik von Alan Parsons Project kennt, schwelgt in süßer Erinnerung.
Ein Gedicht ohne Reim?
Na sicher!
Eine kurze, prägnante Aussage, die hier die technisierte mit der menschlichen Welt verbindet – jedenfalls so verstehe ich die Doppeldeutigkeit des Wortes „Abschalten“.
„Was ich in dir seh, Geliebte?“ (S. 78)
„Nein, Schönheit ist das falsche Wort, Für meine Ansicht über dich,
Berührt nur deine Oberflächen.“
Genauso sehe ich meine Überzeugung, was die Einschätzung anderer Menschen – hier: einer Frau – angeht. Meiner Überzeugung nach machen Äußerlichkeiten nur einen geringen Anteil an der Schönheit einer Frau aus – auch wenn ich zur Kenntnis nehmen muss, dass in unserer modegeilen Welt das Gegenteil immer noch die gängige Ansicht zu sein scheint.
„Und bin irritiert, wenn ich erfahre, Vor allem wünscht du dir, in
meinen Augen wärst du immer fraglos schön.“
Offenbar hat Matthias hier ähnliche Erfahrungen sammeln dürfen…
Fazit: Viele weitere der Arbeiten sprechen mich an, bringen mich zum Nachdenken, aber auch zum Schmunzeln. Ein sehr schönes Beispiel hierfür ist „Wut am Morgen – Nachtrag“ (S. 41).
„Man kann ja nicht immer
Noch ein Gedicht schreiben…
So als Zwischenlösung
Erst einmal ein Haiku.“
Heinz Erhard lässt grüßen, oder?
Als Selbstschreiber kann ich sehr gut nachvollziehen, dass die Notdurft – man sehe mir den Fäkalvergleich nach, aber von der Dringlichkeit her finde ich den Ansatz stimmig – immer besteht, aber nicht immer zur Befriedigung seiner Bedürfnisse gereicht.
Die Lösung: Einfach etwas ander(e)s schreiben…
wenn das immer so einfach wäre…
Sehr schön, diese Gedichte – gerne mehr davon!