Mit „Die 13 Tode der Lulabelle Rock“ legt Maud Woolf ein vielschichtiges und zugleich verspieltes Debüt vor, das die Leser auf eine absurde, manchmal auch melancholische Reise durch 13 verschiedene Tode und ebenso viele Leben mitnimmt. Was auf den ersten Blick wie eine experimentelle Science-Fiction-Geschichte wirkt, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als ein klug konstruiertes Gedankenmodell über Identität, Selbstbestimmung und die Frage, was uns wirklich zu dem macht, was wir sind.
Zugegeben: Die ersten Kapitel lesen sich überraschend routiniert. Fast mechanisch werden die Leben und Tode der verschiedenen Lulabelle-Klone abgearbeitet – beinahe wie eine Checkliste, emotionslos und formal. Doch genau darin liegt ein erzählerischer Kniff: Diese kühle Abgeklärtheit spiegelt den Zustand von Lulabelle Nummer 13 wider – jenem Klon, der einzig zu dem Zweck erschaffen wurde, alle anderen Versionen zu eliminieren. Zu Beginn ist sie nicht mehr als ein funktionaler Befehlsträger, ohne eigene Reflexion oder Selbstzweifel. Der Eindruck von Distanz und innerer Leere ist also kein Schwachpunkt, sondern bewusst inszeniert. Erst nach und nach beginnt Klon 13, sich von ihrer reinen Funktion zu lösen, die anderen Versionen nicht mehr nur als Ziele zu betrachten, sondern als mögliche Spiegel ihrer selbst. In diesem Moment verändert sich auch der Ton der Geschichte: persönlicher, widersprüchlicher, menschlicher. Ein raffinierter erzählerischer Umschwung, der im Rückblick umso wirkungsvoller erscheint.
Im Zentrum des Romans steht ein starkes Thema: Identität – oder besser gesagt: ihre Zersplitterung. Lulabelle existiert nicht als eine Person, sondern in 13 Ausführungen, jede ein eigenes Fragment, eine Möglichkeit, ein Entwurf. Der 13. Klon, erschaffen, um alle anderen zu „bereinigen“, gerät zunehmend ins Wanken: Wer entscheidet eigentlich, welche Version die „richtige“ ist? Und ist es überhaupt möglich, sich selbst zu verstehen, wenn man gleichzeitig gegen sich selbst kämpft?
Maud Woolf stellt diese Fragen nicht in Form langatmiger Monologe, sondern verwebt sie geschickt in die Handlung: Jede Begegnung zwischen Lulabelle 13 und einer ihrer Vorgängerinnen ist nicht nur ein Konflikt, sondern auch eine Konfrontation mit Aspekten des eigenen Ichs. Was dabei entsteht, ist ein psychologisch aufgeladener Thriller über Selbstbestimmung – mit teils verstörender Klarheit.
Identität ist nicht etwas Gegebenes, sondern etwas, das sich erst im Widerstreit offenbart. Indem Maud Woolf ihre Protagonistin nicht nur in einer, sondern in dreizehn Klonversionen existieren lässt – von denen jede eigene Erinnerungen, Persönlichkeitszüge und Lebenserfahrungen mitbringt – sprengt sie das klassische Verständnis einer einheitlichen Identität. Was Lulabelle durchlebt, ist kein lineares Selbstfindungsdrama, sondern eine multiperspektivische Auseinandersetzung mit dem Ich. Die Konfrontation zwischen Klon 13 und den vorhergehenden zwölf ist dabei keine bloße Eliminierungsmission, sondern ein psychologischer Spiegelkampf. Jeder Klon steht für einen möglichen Entwicklungspfad, eine Entscheidung, ein Lebensgefühl. So wird Identität zu einer Art innerem Debattierraum, in dem sich Versionen desselben Menschen gegenseitig infrage stellen. Ist man diejenige, die sich anpasst? Die kämpft? Die sich verliert? Oder ist man etwas anderes – vielleicht sogar mehr als die Summe aller Anteile?
Woolf stellt mit klarem Blick die zentrale Frage: Ist das Ich etwas Festes oder etwas Prozesshaftes? Ihre Antwort ist radikal: Identität entsteht nicht durch Abgrenzung von anderen, sondern durch das Akzeptieren innerer Vielfalt. Erst als Lulabelle 13 beginnt, die anderen Klone nicht nur als „Fehler“ oder „Ziele“ zu sehen, sondern als Ausdruck legitimer menschlicher Facetten, beginnt sie, sich selbst zu erkennen. Ironischerweise geschieht der größte Schritt zur Selbstwerdung nicht durch Auslöschung, sondern durch Empathie mit dem eigenen inneren Widerstand. Auch das Konzept des „Fremdgesteuerten“ spielt eine große Rolle: Klon 13 wurde konstruiert, nicht geboren. Ihre Identität ist funktional, von außen bestimmt. Der Roman konfrontiert uns hier mit der Frage: Wie viel Kontrolle haben wir über das, was wir sind, wenn unsere Rolle bereits vorgegeben ist? Und weiter: Was bedeutet es, sich dieser Bestimmung zu entziehen? Im weiteren Verlauf verschiebt sich die Geschichte so vom Thema „Wer bin ich?“ hin zu „Wer will ich sein – trotz dessen, was man aus mir machen wollte?“ Identität wird zum Akt der Rebellion, zur Selbstbehauptung gegen Erwartungen und genetisch oder ideologisch programmierte Rollen.
Wie so oft bei Debütromanen bleibt auch „Die 13 Tode der Lulabelle Rock“ nicht ganz ohne Schwächen. Manche Nebenfiguren wirken unmotiviert – etwa der Anhalter, der kurz auftaucht, keinerlei Funktion erfüllt und danach ebenso schnell wieder verschwindet. Solche Episoden stören nicht massiv, werfen aber dennoch Fragen auf und wirken im Kontext eines ansonsten durchdachten Romans etwas unausgereift. Auch stilistisch gibt es Passagen, die etwas zu sehr mit dem eigenen Anspruch kokettieren und dadurch an emotionaler Tiefe einbüßen. Doch das sind letztlich Kleinigkeiten in einem Werk, das viel wagt – und dabei meist erfolgreich ist.
Maud Woolf ist mit „Die 13 Tode der Lulabelle Rock“ ein originelles, nachdenklich stimmendes und streckenweise berührendes Debüt gelungen, das sich angenehm von gängigen Genre-Klischees abhebt. Wer gerne über das Menschsein im posthumanen Zeitalter nachdenkt, findet hier ein starkes literarisches Debüt, das noch lange nachhallt. Ein paar erzählerische Ungereimtheiten und kleinere Längen verhindern zwar die Höchstwertung – doch als vielversprechender Auftakt einer möglicherweise größeren Karriere ist dieses Buch definitiv lesenswert.