Maurice ANDRIEUX

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Cover des Buches Heinrich IV. Frankreichs guter König (ISBN: 9783797303301)

Heinrich IV. Frankreichs guter König

(1)
Erschienen am 01.01.1979

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Cover des Buches Heinrich IV. Frankreichs guter König (ISBN: 9783797303301)
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Rezension zu "Heinrich IV. Frankreichs guter König" von Maurice ANDRIEUX

Andreas_Oberender
Drei populärwissenschaftliche Biographien Heinrichs IV. von Frankreich. Teil 2: Maurice Andrieux

Heinrich IV. (1553-1610), der erste König aus dem Haus Bourbon, gehört zu den bekanntesten Monarchen der französischen Geschichte. Sein Leben und seine Herrschaft wurden schon im 19. Jahrhundert intensiv erforscht. Generationen französischer Historiker trugen dazu bei, dass sich im Geschichtsbewusstsein der Franzosen das romantische Bild vom fürsorglichen Volkskönig verfestigte, welches schon bald nach Heinrichs gewaltsamem Tod entstanden war. So oft die politischen Verhältnisse im 19. und 20. Jahrhundert auch wechselten, die Beliebtheit Heinrichs IV. blieb ungemindert. Die fach- und populärwissenschaftliche Literatur über Heinrich IV. ist so umfangreich, dass sie sich heute nur noch schwer überblicken lässt. Ein Meilenstein der Heinrich-Forschung war die gewichtige Biographie des Historikers Jean-Pierre Babelon von 1982. In der kommentierten Bibliographie seines Buches listete Babelon nicht weniger als 32 Biographien auf, die er für bedeutend und lesenswert hielt. Acht dieser Biographien stammen aus dem 19. Jahrhundert. Seit 1982 sind in Frankreich viele weitere Biographien Heinrichs IV. erschienen. Beachtung verdienen in erster Linie die Werke von Fachhistorikern wie Janine Garrisson (1984) und Jean-Marie Constant (2010). Zu den seriösen und anspruchsvollen Werken über Heinrich IV. zählt auch die Biographie des amerikanischen Historikers Vincent Pitts von 2009. Nur ein kleiner Bruchteil der älteren und neueren Heinrich-Literatur französischer oder angelsächsischer Provenienz ist deutschen Lesern zugänglich. Die letzte Übersetzung einer Biographie Heinrichs IV. ins Deutsche liegt mehr als 30 Jahre zurück. Werke aus der Feder deutscher Autoren können sich nicht mit den Arbeiten französischer Historiker messen. Die Heinrich-Biographie von Uwe Schultz (2010) ist ein Ärgernis wie alle Bücher dieses Autors, und der schmale Band von Klaus Malettke (2019) ermöglicht nur eine erste Annäherung an Heinrich IV. Deutsche Leser, die französisch- und englischsprachige Werke nicht im Original lesen können, haben keine andere Wahl, als auf einige ältere Werke in deutscher Übersetzung zurückzugreifen. Es handelt sich um die Biographien von Madeleine Saint-René Taillandier (1934/37), Maurice Andrieux (1955) und André Castelot (1986). Die Zeiten, als Bücher französischer Historiker und Sachbuchautoren in großer Zahl ins Deutsche übertragen wurden, sind lange vorbei. Übersetzungen aus dem Französischen haben heute Seltenheitswert, wie jeder weiß, der sich für die Geschichte unseres westlichen Nachbarlandes interessiert.

 Schaut man sich die französischen Autorinnen und Autoren, die in älterer und neuerer Zeit Biographien über Heinrich IV. geschrieben haben, etwas genauer an, so stellt man rasch fest, dass viele Bücher von Nichtwissenschaftlern stammen. Es handelt sich um Personen, die historische Sachbücher und Biographien gleichsam "nebenberuflich" schrieben. Unter den Biographen des Königs finden sich ein prominenter Politiker (François Bayrou, 1994) ebenso wie ein ranghoher Verwaltungsbeamter (Yves Cazaux, 1978/1986), ja sogar ein Theaterwissenschaftler (Christian Biet, 2006). Ungewöhnlich ist auch der Hintergrund von Maurice Andrieux (1892-1970), dessen Biographie Heinrichs IV. 1979 auf Deutsch erschien. Andrieux war zunächst als Finanzbeamter tätig, bevor er Unternehmer wurde und eine Kaufhauskette gründete. Seine unternehmerische Tätigkeit scheint ihn nicht ausgelastet zu haben. Die 1955 veröffentlichte Biographie des Bourbonen war beileibe nicht sein einziges historisches Werk. Es wäre interessant zu wissen, was den Frankfurter Societäts-Verlag 1979 dazu bewog, das Buch auf Deutsch herauszubringen, neun Jahre nach dem Tod des Autors und 24 Jahre nach Erscheinen des Originals. Zu dieser Zeit lagen etliche aktuellere Biographien Heinrichs IV. vor, die für eine Übersetzung in Frage gekommen wären. Für die deutsche Ausgabe wurde das Literaturverzeichnis um einige Titel ergänzt, die nach 1955 veröffentlicht wurden. Dessen ungeachtet konnte die Biographie zum Zeitpunkt ihrer deutschen Übersetzung bereits als veraltet gelten. Sie spiegelt den Forschungsstand wider, den die französische Geschichtswissenschaft am Vorabend des Zweiten Weltkrieges erreicht hatte. Andrieux stützte sich auf die gleiche Sekundärliteratur und dieselben Quellen, die Madeleine Saint-René Taillandier in den 1930er Jahren für ihre Heinrich-Biographie benutzt hatte. Während des Weltkrieges und in den ersten Nachkriegsjahren ruhte die historische Forschung weitgehend. Andrieux geht in seinem Buch nicht über das hinaus, was man in den Heinrich-Biographien lesen kann, die in der Zwischenkriegszeit erschienen sind. 

 Andrieux hat sein Buch in vier Teile gegliedert, die jeweils vier bis fünf Kapitel umfassen. Die ersten beiden Teile behandeln Heinrichs Leben bis 1589, die Teile 3 und 4 den Kampf um die Befriedung Frankreichs und die friedlichen Regierungsjahre von 1598 bis 1610. Auf der rein faktischen Ebene bietet Andrieux nichts, was den Kenner der Materie überraschen könnte. Von Interesse ist in erster Linie die Bewertung Heinrichs als Mensch und Monarch. Andrieux verschließt keineswegs die Augen vor den unsympathischen Wesenszügen des Königs. Im Privatleben war Heinrich ein rücksichtsloser Egoist. Sein chaotisches und skandalträchtiges Ehe- und Liebesleben ist zu gut dokumentiert, als dass ein Autor schweigend darüber hinweggehen könnte. Im Großen und Ganzen zeichnet Andrieux jedoch ein sehr positives, bisweilen sogar hagiographisch anmutendes Porträt seines Protagonisten. Er schrammt gelegentlich hart an der Grenze zur Rührseligkeit entlang. Die Idealisierung Heinrichs IV., die im 19. Jahrhundert eingesetzt hatte, wirkt in Andrieux’ Buch spürbar nach. Heinrich erscheint als volksnah und volksverbunden, als Retter und Wohltäter der Franzosen. Immer wieder rühmt Andrieux das heitere und optimistische Naturell, den Tatendrang und die zupackende Art des Königs. Im Überschwang der Begeisterung nennt er Heinrich "den intelligentesten der französischsten Könige", schließlich auch "den französischsten aller französischen Könige". Die rasche Erholung Frankreichs nach dem Ende der Religionskriege schreibt Andrieux kühn dem "Genie" des Königs zu. Der Autor stilisiert Heinrich zum "Licht in der Finsternis". Ein gutgläubiger Leser könnte den Eindruck gewinnen, Heinrich habe kraft seiner bezwingenden Persönlichkeit im Alleingang die Einheit Frankreichs und den Zusammenhalt der Franzosen gesichert. Auffällig ist auch, dass Andrieux mehrfach darauf verweist, wie sich Heinrich die Versöhnung von Katholiken und Hugenotten vorstellte: Die Konfliktparteien sollten einander vergeben und die Gewalttaten der Religionskriege vergessen. Als das Buch erschien, lagen schwere Jahre hinter den Franzosen. Nach der schmachvollen Niederlage von 1940 war die Dritte Republik zusammengebrochen. Das Vichy-Regime kollaborierte mit Deutschland. Die Nachkriegszeit war von Tristesse und Mühsal geprägt. Aus heutiger Sicht wirkt es so, als habe Andrieux mit seinem Buch einen indirekten Appell an seine Landsleute richten wollen: Lasst die Vergangenheit ruhen, schaut nach vorne, überwindet den inneren Zwist, widmet euch dem Wiederaufbau! Nehmt euch ein Beispiel an unserem großen König!

 Wie sind die drei Biographien im Vergleich miteinander zu bewerten? Alle drei Werke hätten davon profitiert, wenn die Verfasser mehr Informationen zum historischen Hintergrund eingestreut hätten. Wie funktionierte das Steuersystem der französischen Monarchie? Welche Aufgaben hatten die Parlamente? Vorwissen dieser Art, das für das Verständnis der Herrschaft Heinrichs IV. hilfreich ist, besitzen die allerwenigsten Leser, heute genauso wie zu früheren Zeiten. Obwohl die Biographie von Madeleine Saint-René Taillandier am ältesten ist, verdient sie es am ehesten, heute noch gelesen zu werden. Das Buch bestrickt den Leser mit einer historischen Erzählkunst, die es heute kaum noch gibt. Castelot käut nur wieder, was viele andere Autoren vor ihm über Heinrich IV. geschrieben haben. Die Biographie von Andrieux ist solide gearbeitet, besitzt aber keine Vorzüge, die ihre Lektüre heute noch rechtfertigen.

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