Rezension zu "Dracula" von Bram Stoker
Vorweg: ich werde hier keine Handlungszusammenfassung geben, ich gehe davon aus, dass die grobe Handlung allgemein bekannt ist.
Dracula im Original stand schon lange auf meine Leseliste, quasi zur Wiedervorlage.
Denn natürlich hatte ich als später Tennie und junge Frau eine ordentliche Vampirmacke. Nicht mit affigen asexuellen, glitzernden Vampiren beschäftigte ich mich, sondern mit den Raubtiergleichen, manchmal schön und immer tödlich, manchmal auch niedlich und albern.
Polodori, LeFanu, Byron und diverse Anthologien mit alten Geschichten zum Thema stehen immer noch in meinem Regal, neben den ersten 3 Bänden der Lestatreihe und dem kleinen Vampir.
Lustigerweise habe ich Dracula erst ziemlich spät gelesen. Damals habe ich die Geschichte hauptsächlich als Schauerroman gelesen, der auf die unterdrückte Sexualität von Frauen abzielt. Diese hat entweder quasi keusch oder doch gesellschaftlich gezähmt zu sein oder wird bei freiem Ausleben unter die strenge Herrschaft eines ebenso zügellosen Mannes geknechtet und bedarf sowohl der Bestrafung als auch und Erlösung durch Gott.
Ebenso wie ich damals wie heute erstaunt war, über den geringen erotischen Reiz des Herrn Dracula.
Das kann ich immer noch so sehen.
Wobei Mina Harker als Figur sowohl in die Zukunft sowie in die Vergangenheit weist. Einerseits ist sie nahezu der Kopf der Gruppe, die durch ihre analytischen Fähigkeiten und Tatkraft entscheidend zum Erfolg beiträgt, gleichzeitig gibt es eine Stelle, in der sie sich abfällig über die modernen Frauen äußert und zwischendurch ist sie sonderbar auf Konventionen bedacht.
Eigentlich kulminiert in ihr auch die ganze Strategie der Vampirbekämpfer : Wissenschaft + (Aber-) Glauben und Tradition führen zum Erfolg.
Wobei ich auch an den sehr übertriebenen Schauerelementen des Romans großen Spaß hatte und habe. Ständig werden die Hände gerungen, die Zähne gebleckt, Gesichter verzogen. Böse und gemein, wer dabei an Schmierenkomödianten denkt. Wobei ich vermute, es ist vor allem aus der heutigen Sicht so extrem.
Draus folgern lässt sich aber, dass Stoker sprachlich_stilistisch kein Genie war. Tatsächlich liest sich meine deutsche Übersetzung teilweise literarischer, als das Original.
Was er aber großartig gemacht hat und somit eine neue Form geprägt hat, waren 2 Dinge. Zum einen ist diese Montagetechnik diverser Erzählperspektiven, der diversen Briefe und Tagebücher neu und toll. Er nutzt sie geradezu für ein fast filmisches Erzählen. Leider gibt er aber den einzelnen Figuren, mit Ausnahme des van Helsings keine eigene Stimme, stilistisch ist er nicht variabel genug. Van Helsing bekommt irgendeine Art Dutch-English, das meinen Lesefluss erheblich gestört hat, das aber stimmig ist.
Zum anderen vereint er in der Figur des Dracula mehrere Aspekte sehr unterschiedlicher alter Vampir-Mythen, so entsteht ein lernfähiges, anpassungsfähiges Monster.
Spannend war für mich, beim Wiederlesen auch, wie sehr sich diverse Filmhandlungen in meiner Erinnerung über die Originalhandlung gelegt haben.
Ich finde, dass dieses Buch von jedem Fan von Vampiromanen gelesen werden sollte.
Meine Ausgabe gehört zu den eigentlich schönen Clothboundreihe von Penguin. Dieses Cover finde ich aber wenig stimmig zum Roman. Die vorgestellten Essays sind in diesem Falle unterhaltsam und informativ, anders als die schwafeligen , redundanten Vorworte von Frankenstein.
Im Anhang finden sich weitere aufschlussreiche Dokumente von Storkers Schaffen. Besonders seine Forderung nach Zensur von pornografischer Literatur ist doch sehr erhellend.