Was Städte mental ermöglichen, aber auch anrichten
Der Trend zur Urbanität ist nicht nur ungebrochen, sondern potenziert seine Geschwindigkeit, und das weltweit. Was die dichte Besiedlung, die Preise für das Wohnen in den Städten ( was ebenso exponentiell nach oben schießt, auch das weltweit), die Möglichkeiten, die Arbeitsplätze angeht und was dies für Auswirkungen hat auf die Bewohner der Städte, auch im Blick auf die traditionellen Areale und Bewohner, die immer mehr dem neuem Boom zu weichen haben.
Sei es Gentrifizierung, sei es das Aussiedeln und abreißen ganzer Viertel in Städten in China und andernorts, die „Verstädterung“ hat vielfache Folgen, positive wie negative.
Wobei, das sei von vorneherein klargestellt, Adli Position bezieht und die Möglichkeiten und den Nutzen von Städten deutlich höher bewertet als den Schaden, der mit dem Leben in der Stadt einhergehen kann. Diesen nun klammer Adli aber keineswegs aus, sondern sucht in der Gegenwart der Fakten des Stadtlebens nach Anknüpfungen, das 2stressige Leben in der Stadt“ konstruktiv weiter zu entwickeln. Und kommt nicht ohne Hintergedanken zunächst mit dem Vergleich zum menschlichen Gehirn, den neurobiologischen Strukturen, die er durchaus gekonnt in Analogie zu einer modernen Großstadt zu setzten versteht.
Denn einerseits gestaltet der Mensch sein Umfeld ja nicht zuletzt im Rahmen seiner inneren Disposition und andererseits wirkt dieses Umfeld wiederum auf die „Verdrahtung“ des Gehirns und formt damit wiederum, ein stückweit, auch die Person.
„Der Ort, an dem wir wohnen, geht uns buchstäblich auf die Nerven“.
Gedränge, Lärm vor allem, ein „ständiges Brodeln“ das auch jene, die es suchen und genießen auf Dauer „unter Stress setzt“, das ist das allgegenwärtige Leben in den Städten, deutlicher und massiver, je größer die Städte sind und werden, in denen man lebt. Gesteigert durch die eher Enge, in der der „normale“ Stadtbewohner lebt, der zwar weitgehend anonym unter den vielen anderen sich bewegt und dennoch vieles von deren Leben (und umgekehrt) zumindest passiv mitzuerleben hat.
Sich in einer Stadt auf Dauer gesund und konstruktiv zu bewegen, dort zu leben, dazu bedarf es, so Adli, nicht unbedingt einer ganz neuen Architektur oder anderer „groß-bewegender“ Dinge, durchaus aber nutzt eine reflektierte Haltung, die zu einem bewussten Umgang mit Stressfaktoren führt und damit den gesundheitlich belastenden Anteil des Stresses deutlich zu senken vermag.
Ob nun tatsächlich die „Umdeutungen“ von Stressquellen wie den „lieben Nachbarn“ oder der allgegenwärtige Lärm (Verkehr, Baustellen, selbst nachts kaum wirklich Ruhe) tatsächlich beruhigend wirkt, dass muss dann natürlich der Leser selbst an sich herausfinden. Andererseits ist den Neurowissenschaften und der Psychologie seit Langem bereits klar erkenntlich, dass es am Ende die inneren Bewertungen von Situationen und Erlebnissen sind, die im Menschen zu einer konstruktiven oder destruktiven, zu einer „sich aufregenden“ oder „gelassenen“ Haltung führen.
Erkenntnisse, die Adli aufgreift und verständlich und einsichtig auf den „Organismus Stadt“ herüber transportiert. Dazu gehört auch, sich selbst klare Wege zu geben, die Vielzahl der Möglichkeiten des urbanen Lebens zu sehen, aber sich nicht zu deren Opfer (mit der Folge, sich nicht mehr konkret entscheiden zu können), sondern zum Akteur des eigenen Lebens und der Auswahl aus den vielen Möglichkeiten zu machen.
Dann passt auch, was Adli mit Überzeugung betont: „Und dennoch: Stadt!“. Als Ort modernen Lebens, als Ort vielfacher Lebendigkeit, die den Menschen aber eben vor die Aufgabe stellt, sich der Stadt einerseits anzupassen und andererseits dies nicht in dem Sinne zu vollziehen, dass man darin untergeht. Und damit durchaus auch gestaltend in die städtische Entwicklung einzugreifen, wo die Belastungen beginnen, die Vorteile zu überdecken. Auch hierzu finden sich im Buch vielfache Anregungen.
Eine interessante und treffende Darstellung der Fakten des städtischen Lebens in Begleitung vielfacher, einsichtiger und nicht komplizierter Instrumente, sich das Leben in der Stadt gut zu gestalten,
Eine anregende und interessante Lektüre.
Mazda Adli
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Mazda Adli
Stress and the City
Neue Rezensionen zu Mazda Adli
Es ist schon 23 Uhr. Um halb 8 klingelt der Wecker. Von oben ist wieder das Dröhnen zu hören. War das Frank Plasbergs Stimme? Um 7 Uhr morgens wacht dann auch noch vor mir ein Presslufthammer auf – Lärm ist einer von vielen Faktoren, die das Leben in Städten für viele Menschen zu einem Ärgernis oder sogar gesundheitlichen Risikofaktor werden lassen.
Der Berliner Psychiater und Stressforscher Mazda Adli sucht in Stress and the City nach Möglichkeiten, Städte gesünder für ihre Bewohner zu machen. Seiner Profession entsprechend fokussiert er sich dabei nicht nur auf besondere Bauweisen, sondern vor allem auf den Menschen selbst. Adlis Erfahrungen in der interdisziplinär arbeitenden Gruppe für Neurourbanistik, die er mitbegründet hat, zeigen, dass kleine Verhaltensübungen bereits vielerlei alltägliche Belastungen lindern können. Am Beispiel des „territorialen Stresses“, den der fernsehende Nachbar oder die lärmende Baustelle auslösen können, hilft schon das Wissen darüber, was genau warum vor sich geht. Die Bewertung von Lärm als nützlich oder verständlich wirkt sich laut Adli direkt auf das Stressempfinden aus. In meinem Fall hört der Herr von oben etwas schlecht und so gönne ich ihm seine lautstarke Unterhaltung. Die Baustelle vor dem Haus wiederum sorgt für funktionierende Wasserversorgung – das ist in meinem Interesse.
Neben praktischen Kniffen dieser Art finden sich in Stress and the City bekömmliche Fragmente aus Architektur, Soziologie oder Psychologie sowie Schlaglichter aus Adlis Biografie. Jener ist in Köln geboren, hat jedoch als Kind die Islamische Revolution in Teheran miterlebt, bevor er mit seinen Eltern, einem Botschafterehepaar, zurück nach Deutschland kam. Der Autor unterliegt dabei nicht der Versuchung, seine Stadteindrücke generalisieren zu wollen, sondern eröffnet mit seiner persönlichen Wahrnehmung einen weiteren Zugang zum Gegenstand Stadt. Ebenso unterhaltsam lesen sich auch die Passagen, in denen Adli die Umstände seines Schreibens schildert – mal von Palmen umgeben in Sri Lanka, mal eingekerkert in eine Bibliothek.
Wenn eine Passage so intensiv auf diverse Botenstoffe im Gehirn eingeht, dass der eine oder andere Leser verlorengehen könnte, folgt sodann eine Illustration von Florian Dengler. Ein überlaufener Gehweg, Dachterrassenromantik oder die Kurve der Qual der Wahl – mit allem weiß der Berliner das Auge zu erfreuen. Letztere zeigt auf, dass die Vielzahl an Möglichkeiten, die Städte mit sich bringen, Menschen ab einem Angebot von 10 Optionen unzufriedener werden lassen. Adli ermutigt vor allem dazu, bei einer Entscheidung, z.B. für eine Freizeitaktivität oder ein Restaurant, zu bleiben, anstatt sich stets die alternativen Ausgänge einer Situation vor Augen zu halten. Auch hier ist wieder der Einzelne gefragt, seine Denkweise an die Stadt anzupassen statt anders herum.
Komplettiert wird das Buchprojekt von Kurzinterviews mit Experten der Stadtforschung. Neben Soziologiegröße Richard Sennett kommt der Architekt Jürgen Mayer zu Wort, welcher der Neurourbanistik ganz nebenbei einen logischen Überbau verleiht: „Der Beruf [des Architekten] ist dem Arztberuf vielleicht relativ ähnlich, weil man als Architekt natürlich auch diagnostiziert. Man recherchiert, fragt, wo liegen die Schmerzpunkte einer Stadt, und versucht dementsprechend Interventionen zu finden.“ Jene Schmerzpunkte des öffentlichen Stadtraums sind laut Adli fehlende Grünflächen, Autoverkehr im Übermaß und vor allem Menschen, die dem Kern einer Stadt, unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Begegnungen, aus dem Weg gehen.
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