Seit ich in der Schweiz lebe, packt mich hin und wieder die Neugier auf ihre Sagen, Legenden und ihre Geschichte. "Sagen und Legenden der Schweiz", erschienen zufälligerweise beim gleichen Verlag wie mein Buch, hat alles um die Neugier zu wecken: edler Einband und die herrlichen Holzschnitte von Hannes Binder.
Wie jede Sammlung beherbergt auch dieses Buch allerlei: von der simplen Mini-Sage à la "der heilige Bimbam traf beim XY-Hügel auf einen wütenden Bär, zeigte ihm den Kruzifix und der Bär wurde zahm" bis zu ganz spannenden Legenden-Reihen mit alternativen Versionen z.B. des Baus einer historisch wichtigen Brücke. So gut wie alle Sagen stammen von Meinrad Lienert, ca. 1914 und wurden von Stefan Ineichen 2006 herausgegeben, ergänzt und kommentiert. Und diese Kommentare sind äusserst klar und spannend. Dank ihnen versteht man erst, warum diese Brücke über genau diese Schlucht so wichig war und wie ihr Bau die politische Landschaft veränderte.
Spannend auch zwischen den Zeilen zu lesen. Ich stelle mir die rauhe Landschaft vor, die wenigen einsamen Hirten und die kleinen Städtchen, das schwere und wohl kurze Leben im Mittelalter. Kein Wunder, dass man so vieles religiös ausschmücken wollte, mit Pilatus, lokalen Heiligen und Märtyrern. Der pietätische Unterton trifft auf eine grundsätzlich gegen Adlige, reiche Bürger, generell Wohlstand, Kunst und Intellektualität gerichtete Grundstimmung. In fast allen Legenden mit Kampfhandlungen treten die netten, klugen, einfachen und aufrichtigen Helden gegen die bösen, verdorbenen Adligen in schönen Kleidern.
Interessantes Zeugnis über den Zeitgeist zumindest um 1914.
Warum 4 statt 5 Sterne: ich hätte einige der Mini-Sagen nicht aufgenommen und auf die wirklich saftigeren Legenden fokussiert, die eine richtige Handlung haben.
Leicht finsteres Alpenpanorama