Cover des Buches Die Wahrheit (ISBN: 9783844523072)
Elmar Hubers avatar
Rezension zu Die Wahrheit von Melanie Raabe

Die Wahrheit

von Elmar Huber vor 5 Jahren

Kurzmeinung: Eine unausgegoren zurecht geschusterte Story ...

Rezension

Elmar Hubers avatar
Elmar Hubervor 5 Jahren

„Es ist erstaunlich. Seit »das mit meinem Mann« passiert ist, wie Claudia es nennt, streiten die Menschen nicht mehr mit mir. Sagen mir nicht mehr, dass ich Unrecht habe. Nicken alles ab. Als wäre ich zu einer moralischen Instanz geworden, einfach, weil mir Leid zugestoßen ist und ich es überlebt habe. Selbst streitlustige Menschen wie Claudia lassen mich einfach reden. Es ist zum Verrücktwerden, manchmal.“

STORY
Sieben Jahre zuvor verschwand Sarah Petersens Ehemann Philip spurlos auf einer Geschäftsreise in Südafrika. Seitdem läuft ihr Leben im „Pausenmodus“. Gerade als sich in ihr eine neue Aufbruchsstimmung entwickelt und mit diesem Schwebezustand abzuschließen, erhält Sarah einen Anruf des Außenministeriums. Ihr Mann wurde gefunden und wird nach Hause kommen. Am Flughafen, wo sie Philip in Empfang nehmen soll, erlebt Sarah eine undenkbare Überraschung. Der Mann, der ihr plötzlich gegenübersteht ist nicht ihr Ehemann. Von der Situation überfordert, kann sie die Lage nicht sofort aufklären, danach ist es zu spät. Der Fremde nistet sich wie selbstverständlich in Sarahs Leben ein, ohne ein Motiv für sein Handeln erkennen zu lassen.

„Ich horche in mich hinein, suche vergebens nach dem herrlichen Gefühl von heute Morgen. Der alte, böse Traum hat es vertrieben, und in mir rührt sich nun plötzlich etwas ganz anderes, zögerlich, aber unaufhaltsam, wie ein kleines Tier mit spitzen Zähnen, das erstmals nach langem Winterschlaf den Bau verlässt: die Vorahnung von etwas Schlimmem.“

MEINUNG
Es ist starker Tobak, den Melanie Raabe ihren Lesern hier auftischt. Und zwar nicht von der Sorte, dass nun das intensive Katz-und-Maus-Spiel folgt, dass man erwarten könnte, sondern eher, dass die sich mühsam entwickelnde Chose einiges an Durchhaltevermögen fordert.

Schon in der anfänglichen Schlüsselszene, Sarah steht auf dem Flughafen plötzlich konsterniert ihrem Nicht-Ehemann gegenüber, bekommt sie ihren Stempel als widerstandsloses und schwaches Weibchen verpasst. Vermutlich lag das nicht in der Absicht der Autorin, doch was hätte Sarah tatsächlich zu verlieren gehabt, hätte sie die Situation vor Ort schon klargestellt oder zumindest bald danach die Polizei kontaktiert? Wäre wenigstens die weitere Handlung, die sich daraus ergibt, irgendwie spannend oder interessant, könnte man diesen Frosch noch schlucken, statt dessen entwickelt sich ab hier ein zähes Schauspiel voller Wiederholungen und Schleifen; im Haus der Petersens werden die ewig selben Dialoge wiedergekäut („Wer sind sie?“, „Was wollen sie?“, etc.). Damit dieses hanebüchene Schauspiel überhaupt irgendwie funktioniert, hat sich Fr. Raabe eine ganze Batterie an Unwahrscheinlichkeiten zurecht geschrieben. Da angefangen, dass niemand „greifbar“ ist, der die Identität des Mannes als Philip Petersen bestätigen oder widerlegen könnte bis dahin, dass eine einfache Handlung, die Gewissheit über die Identität des Fremden verschaffen könnte (Stichwort: der echte Philip hat eine Narbe auf der Brust), so unglaubwürdig abgehandelt wird, dass es an Lächerlichkeit grenzt.

Einige Stellen, an denen ein Perspektivwechsel sattfindet, bieten interessante Ansätze und man muss, sich fragen, ob man Sarahs zuvor geschilderte Ausführungen überhaupt trauen sollte oder ob sie sich ihre Ehe im Nachhinein nicht etwa schön biegt. Leider haben diese Ansätze in dem zähen und unpassend prätentiös geschriebenen Langeweilebrei gar keine Chance, sich hinreichend zu entwickeln.

Auch hilft es nicht, dass Sarah selbst null Sympathiepunkte für sich verbuchen kann, da sie von Beginn an wie ein überreiztes Nervenbündel wirkt. Eine Figur ständig wiederholen zu lassen, wie erwachsen und taff sie ist, macht sie nicht wirklich taff, Fr. Raabe. Viel eher wird der Leser eine gestörte Selbstwahrnehmung diagnostizieren. Nicht hilfreich, wenn man sich mit der Figur identifizieren soll.

Am Ende, mit der Auflösung der Geschichte, fällt das ohnehin wacklige Konstrukt wie ein Kartenhaus zusammen und die komplette Absurdität der Geschichte wird auf einmal deutlich.

DAS HÖRBUCH
Der größte Teil des Hörbuchs, die Passagen von Sarah, wird von Schauspielerin Nina Kunzendorf gelesen, die ein sehr mädchenhaftes Organ hat. So entsteht der selbe Effekt wie bei „The Woman in the Window“, nämlich dass man Sarah beim Hören als unsicher, unangenehm geltungsbedürftig und damit als unsympathisch empfindet. Die männlichen Teile werden von Devid Striesow und Andreas Pietschmann übernommen, was das Ganze etwas auflockert, letztlich aber nahezu wirkungslos bleibt. Bei der mp3-CD-Version handelt es sich um eine gekürzte Lesung, als Download ist die ungekürzte Version mit einer Laufzeit von 564 Min. erhältlich.

FAZIT
Eine unausgegoren zurecht geschusterte Story, eine unsympathische Protagonistin und endlose Wiederholungen machen das Hörbuch zu einer anstrengenden Angelegenheit. Mehr als einmal stellt sich die Autorin selbst ein Bein.

Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks