Rezension zu "Der verführerische Charme der Durchschnittlichkeit" von Melissa Jacoby
Ein Buch, das wie ein frisch gezapftes Bier als erhoffter Genuss für alle Sinne aufgeschlagen wurde, endet als schale, abgestandene Flüssigkeit, von der man keinen Schluck mehr nehmen möchte. Warum bloß? Weil hier die Chance vertan wurde, aus der interessanten Buchidee, nämlich der Charakter- und Persönlichkeitsstudie eines hochintelligenten Achtzehnjährigen aus High Grove, Illinois, der mit fünfzehn von der Highschool auf die Chicago University wechselt und als Star der mathematischen Fakultät jetzt unmittelbar vor seinem krönenden Abschluss die Brocken komplett hinschmeißt, einen richtig guten Roman zu machen, der den Leser fesselt und die komplizierten Gedankengänge des Hautprotagonisten hautnah nachvollziehen lässt. Stattdessen verwässert das Ganze nach einem gelungenen Auftakt in einer typisch amerikanischen Familiengeschichte voller historisch gewachsener Zwiste, Missverständnisse und unterdrückter Wut, die sich irgendwann Bahn brechen. Die Männer in der Familie stoisch, schweigsam und schicksalsergeben wie Westernhelden, die Frauen überdreht, depressiv oder eiskalte Karrieremütter. Stereotypen eben. Und damit wird der tragende Handlungsstrang trotz der zur Erhellung geplanten Rückblenden bis zum abrupten, etwas konstruiert wirkenden Abschluss im Sinne einer familiären Vergangenheitsaufarbeitung leider zunehmend vorhersehbar, die Spannung geht verloren und die Lektüre wird damit beliebig und ermüdend. Schade. Insbesondere die problematische Hauptperson des Theodor Mead Fegley, von klein auf gemobbter Nerd ohne Freunde und bar jeder Sozialkompetenz, zusammengesetzt aus Schüchternheit und Unverstandensein und nur getrieben von seinem mathematischen Forscherdrang, bleibt bis zuletzt in sich widersprüchlich und erfährt aus meiner Sicht (damit wohl abweichend von anders lautenden Einschätzungen) keine Weiterentwicklung oder innere Läuterung, zumindest ist dies für mich nicht erkennbar. Autor wie führende Figur bewegen sich unablässig im Kreis. Ich fand das Buch in seiner Gesamtheit unausgegoren und enttäuschend. Zwei Sterne für die Idee und vereinzelte starke Momente.