Manche Aussagen rufen ein großes Staunen bei mir hervor. Man dürfe „nicht jeden in die rechte Ecke stellen, der lieber Thomas Mann als Bert Brecht liest“, mahnte Weimer in einem Interview. Merkwürdig, welchen kruden Kulturkampfspin Weimer hier fabuliert. Zwar zählt Thomas Mann für mich durchaus zu den bürgerlichen Autor*innen und z.B. „Die Buddenbrocks“ schienen mir immer etwas zu verstaubt, als dass ich sie hätte lesen wollen. Aber Manns leidenschaftliches Engagement gegen Hitler und den Nationalsozialismus ist eigentlich hinlänglich bekannt und weithin respektiert. Die Nazis selbst verbrannten 1933 seine Bücher und die seines Bruders, bürgerten ihn 1936 dann aus. Merkwürdig, mit welchen vermeintlichen Strohmännern Weimer also einen angeblichen Kulturkampf konstruiert.
Wie leidenschaftlich Thomas Mann gegen den Faschismus im Allgemeinen und den deutschen im Besonderen wetterte, hätte Weimer an der Neuauflage von „Deutsche Hörer“ sehen können. Die monatlichen Reden, die Mann für die BBC von Oktober 1940 bis November schrieb, erschienen bereits bereits 1942 und 1945. Aktuell bracht sie aber S. Fischer Anfang 2025 mit einem Vor- und Nachwort von Mely Kiyak heraus (beides übrigens hervorragend). Absurderweise verweist Weimer einen Monat nach seiner „lieber Thomas Mann als Bert Brecht“-Aussage in einem Gastbeitrag für RND selbst auf dieses Neuerscheinung. Vermutlich geht es also Weimer gar nicht um Thomas Mann, sondern darum, sich selbst inszenieren zu können, wie es ihm gerade passt.
Dies alles (also eine verkappte Kulturkampfrhetorik) nahm ich zum Anlass, Thomas Manns Reden endlich einmal zu lesen. Das ist meine tausendste Buchrezension bei Lovelybooks. Darum habe ich bewusst eine zu einem dezidiert antifaschistischen Buch ausgewählt.
Nach der Lektüre kann ich völlig unterschreiben, was Mann selbst in seiner letzten Rede im Novembere 1945 betont, in der er begründet, warum er nicht nach Deutschland zurückkehrt:
„An dem Untergang dieses menschheitsschändenden Unfugs habe ich gearbeitet, vom ersten Tage an, nicht erst durch meine Radiosendungen nach Deutschland, die eine einzige, inbrünstige Aufforderung ans deutsche Volk waren, sich seiner zu entledigen.“
Manns Appelle lesen sich schmerzhaft, denn wie viel Leid hätte verhindert werden können, wenn diese Entledigung geklappt hätte? An Manns Verachtung für Hitler („das elende Subjekt“) und seine Schergen bleibt kein Zweifel. Seine Kommentare sind scharfsinnig, gepfeffert und beißend. Sie changieren zwischen Verachtung, Hohn und Spott. Er macht diese „Machthallunken“ lächerlich und seziert die Manierismen, rhetorischen Schwächen und Unzulänglichkeiten von Hitler, Göbbels und Himmler ebenso wie ihre Grausamkeit und Menschenverachtung.
„Wie war es möglich, dass Deutschland und die Welt dieser blutigen Nichtigkeit von einem Menschen, diesem intellektuellen und moralischen Minderwert, dieser lichtlosen Lügenseele, einer Schneiderseele im Grunde, diesem Verhunzer des Wortes, des Denkens und aller menschlichen Dinge, diesem schimpflich verunglückten und nur eben mit irgendwelcher unsauberen Suggestionskraft ausgestatteten Individuum erlaubten, geschichtlich zu werden und sich aus unverschämt gehäuften Missetaten ein Piedestal zu errichten, auf dem er zum mindesten sich selber – heute wohl nur noch sich selber – groß erscheint?“ (28. Februar 1944)
Mann zitiert Goethe und Schiller. Wenn er Churchill und Roosevelt zitiert, dann ist er voller Hochachtung und Dankbarkeit. Er zeichnet sie klar als Führer der freien Welt, die die unterdrückten europäischen Völker vom Joch des Faschismus befreien werden. Und für Mann besteht kein Zweifel, DASS die Befreiung kommen wird.
Trotz aller Klugheit nutzt Thomas Mann keine sanften Zwischentöne, kein Verständnis für die Landsleute, die Hitler hinterherlaufen. Es ist klar, der Nationalsozialismus ist ein Übel für die Welt, ein Übel für die Menschheit, ein Übel für Deutschland. Es gibt so klare Worte gegen die aktuelle Gefahr von Rechts, aber die werden noch viel zu selten gehört. Ja selbst, wenn Millionen für ein A*D-Verbot und gegen die sogenannte „Migration“ auf die Straße gehen, ignoriert die Politik die Zivilgesellschaft. Manche Sätze Manns könnten wir eins zu eins als Warnung dienen.
Manche Formulierungen sind dem Zeitgeist geschuldet: So nutzt er immer Mal wieder „Idiot“, was die Nazis in den KZs als Kennzeichnung benutzten. Über einige andere Begriffe bin ich auch gestolpert. Manchmal kam mir eine gewisse Überhöhung des christlichen Glaubens unter.
Als zeithistorisches Dokumente spiegeln die Reden zudem, wie viel von den Nazi-Verbrechen bereits international bekannt waren: u.a. die Auslöschung von Lidice nach dem Heydrich-Attentat, die Ermordung durch Vergasung zur „Probe“ von Juden 1942 in den Niederlanden, ein halbe Millionen ermordeter in Majdanek, 1,7 Mio. in Auschwitz und Birkenau (die beiden Zahlen im Januar 1945). Thomas Mann bejubelt das Engagement der Briten und US-Amerikaner*innen für die Demokratie und für die Menschenrechte. Ich denke mit Wehmut daran, denn: Wer sollte uns heute retten? Manns Reden sind durchaus auch klug im Sinne der Agitation: So deutlich er seinen Hörer*innen die Naziverbrechen UND ihre Verantwortung daran vor Augen führt, so sehr glaubt er an die Selbstreinigungskräfte seiner Landsleute nach dem Sieg über Hitler. Ich kann mir vorstellen, dass es für die damaligen Hörenden, die eher nationalistisch eingestellt waren, eher zum Nachdenken gebracht werden konnten. Spannend fand ich, dass Thomas Mann das Marketing vom angeblichen Sozialismus komplett demaskiert hat – auf den heute immer noch Konservative hereinfallen.
„Sozialismus! Vom deutschen und internationalen Finanzkapital sind Hitler und seine Bande ausgehalten und in die Macht geschoben worden. Von der blinden Angst der bürgerlichen Welt vor dem Sozialismus haben sie gelebt und hoffen sie immer noch zu leben;“ (28. März 1944)
Noch eine kleine Hintergrundinfo: Bei einen Kulturkampf von rechts wählte Thomas Mann seine Seite klar. Als in München der 1920er Jahre bürgerlich Kreise mit der NSDAP liebäugelten und gegen moderne Kunst agitierten, so dass z.B. Stücke von Brecht, Kraus und Döblin mussten abgesetzt werden. Thomas Mann formierte dagegen Widerstand und initiierte 1926 eine Kundgebung. Der sprechende Titel: „Kampf um München als Kulturzentrum“.
In seinen Reden bleibt Thomas Mann, bei aller Schärfe, auf der Seite der Hoffnung, der Menschenrechte und Völkerbund kommen sieht:
„Man mag über Geschichte und Menschheit so trübe und skeptisch denken wie man will; dass aber die Welt den Endsieg des Bösen anerkennen, dass sie es ertragen würde, zu einem einzigen Gestapo-Keller, einem einzigen Konzentrationslager gemacht zu werden, worin ihr Deutsche die SA-Wache abgäbet - das kann auch der Ungläubigste nicht glauben.“

















