Rezension zu "Eine nächtliche Begegnung" von Meredith Duran
Als Arbeiterin in einer Londoner Zigarrenfabrik verdient Nell Whitby nicht genug, um einen Arzt für ihre Mutter bezahlen zu können. Auf dem Sterbebett offenbart die ihr, dass ihr richtiger Vater der Earl of Rushden ist. Mit einem Stiefbruder, der sie prügelt und zur Hure machen will, und plötzlich ohne Anstellung hat die junge Frau nichts mehr zu verlieren. Nachts schleicht sie in das Haus des Earls, um ihn zu erschießen. Im Bett liegt jedoch Simon St. Muir, der vor einigen Monaten den Titel, aber leider nicht das Geld, geerbt hat. Sofort erkennt er, dass Nell die verschollene Cornelia Aubyn ist und somit keineswegs ein Bastard, wie sie dachte, sondern die legitime Tochter seines verstorbenen entfernten Verwandten, die als Sechsjährige entführt worden war. Genau wie ihrer Zwillingsschwester Kitty gehört ihr eine Hälfte des Vermögens. Simon wittert eine Chance, doch noch eine gute Partie zu machen, um seine Schulden, die er als Lebemann angehäuft hatte, loszuwerden. Wenn Nell ihn heiratet, will er sie in die Gesellschaft einführen und ihr zu ihrem Recht verhelfen – was nicht jedem gefällt.
„Eine nächtliche Begegnung“ ist eine Art viktorianische Variante von George Bernard Shaws Komödie „Pygmalion“, die in der Musical-Variante als „My Fair Lady“ bekannt ist, aber gewürzt mit sinnlichen Szenen und einem Happy End, wie sie bei einem Historical nicht fehlen dürfen. Gossensprache gehört selbstverständlich dazu, nur ist sie – zumindest in der Übersetzung – in Ausnahmefällen zu modern ausgefallen. Wunderbar geglückt ist hingegen Nells Wandlungsprozess von der Unterschichtenfrau zur feinen Lady, tatkräftig unterstützt vom kultivierten Schlitzohr Simon. Zusammen bilden sie ein herrliches Gespann, dessen Unterschiede humorvoll in Szene gesetzt werden und bei dem es gleichzeitig gehörig knistert. Noch ein bisschen Krimi beigemischt samt dramatischem Finale, und schon ist ein sehr unterhaltsames Paket geschnürt. (TD)