Ja, wenn meine Generation stirbt, stirbt wohl auch die (gedruckte!) zeitungslesende Menschheit aus. Ein wunderbar kleines Büchlein, das mit Hilfe von verschiedenen Epsioden ein Streiflicht auf die Zeitungsgeschichte wirft. Wer kann sich heute schon noch vorstellen, für die neuste Ausgabe einer bestimmten Zeitung mit dem Zug zur nächsten grossen Stadt zu fahren? Stimmt nachdenklich und ist gleichzeitig zum Schwelgen geeignet. Ändert allerdings kaum etwas am ersten Satz dieser Kritik...
Michael Angele
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
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Der letzte Zeitungsleser
Berlin: Stadt der Dichter
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Schirrmacher: Ein Portrait
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Michael Angele, heute stellvertretender Chefredakteur des Freitags und leidenschaftlicher Zeitungsleser – er selber spricht von einer Zeitungssucht – schrieb mit "Der letzte Zeitungsleser" einen Essay über eben das: Zeitungen und das Zeitungslesen und zeigt, dass es dabei um viel mehr geht, als um den reinen Informationsgewinn.
Thomas Bernhard war leidenschaftlicher Zeitungsleser und soll für einen Artikel aus der Neuen Züricher Zeitung unglaubliche 350 Kilometer zurückgelegt haben. So besessen wie Bernhard sind wenige Zeitungsleser und dennoch gibt es sie. Menschen, die Zeitungen lesen. Im Café um die Ecke, zum Frühstück am Tisch neben der Ehefrau, auf der Toilette und fremdsprachige im Ausland. Trotzdem sind Zeitungen ein schwindendes Medium. Aber mit ihnen geht nach Angele nicht nur eine Informationsquelle verloren, sondern eine Kulturform – eine Lebensform.
ES GEHT BEIM ZEITUNGSLESEN NIE NUR UM INFORMATIONSGEWINN UND FREIE MEINUNGSBILDUNG, SONDERN AUCH UM STARKE GEFÜHLE. UND DAS RECHT, SICH AUFZUREGEN. – S. 61
Angele durchzieht sein Essay mit zahlreichen biographischen Zügen, wie die anekdotenhaften Stellen über das Leben des Schriftstellers Thomas Bernhard, die zeigen, dass Zeitungen mehr sind, als ein informierendes, heute anachronistisch anmutendes Medium. Da gibt es den Zeitungssammler, der stapelweise Ausgaben und Artikel zu Hause hortet, den Urlaubsleser, der einen ganzen Koffer voll ungelesener Ausgaben des New Yorkers mit in den Urlaub nimmt oder eben Bernhard, der als beinahe schon fanatischer Zeitungsleser einen mehrere hundert Kilometer weiten Weg für einen Artikel zurücklegt.
WEDER IST ES DER VORDERGRÜNDIGE SINN EINER SAMMLUNG VON NEW YORKERN, SIE IM URLAUB NACHZULESEN, NOCH IST ES DER VORDERGRÜNDIGE SINN EINES URLAUBS, DASS MAN IN IHM ALTE NEW YORKER NACHLIEST.
ABER SEINEN SINN HATTE ES EBEN DOCH. – S. 37
Das Büchlein ist eine angenehme Lektüre: schnell zu lesen, scharfzüngig und unterhaltend. Die Zeitungsoptik von außen findet sich auch im Inneren des Buches wider. Der Text ist wie in Zeitungsspalten gehalten, sodass auf einer Seite viel weißer Raum bleibt. Das einzige wirkliche Manko ist in meinen Augen jedoch der Preis: 16€ für ein 160-Seiten-Buch, bei dem die Seiten nur halb bedruckt sind? Den Kauf bereue ich dennoch nicht. Nicht im geringsten. "Der letzte Zeitungsleser" hat mich unterhalten, mich an der einen Stelle zum Schmunzeln und an der anderen zum Nachdenken gebracht. Ein Buch, das ich bestimmt nicht zum letzten Mal gelesen habe.
"Der letzte Zeitungsleser" ist ein leidenschaftliches Plädoyer eines Zeitungsmenschen für Zeitungen aus knisterndem Papier und Druckerschwärze und für die Traditionen, die Leben und Eigenheiten, die sich um dieses schwindende Medium gesponnen haben. Ich liebe es, Zeitung zu lesen, und das hat mir Angeles kluges Essay erneut vor Augen geführt.
Frank Schirrmacher (1959-2014) war ein streitbarer, visionärer wie technikaffiner Journalist und Autor, dessen Stimme heute fehlt.
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