Cover des Buches Das ferne Land (ISBN: 9783821872025)
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Rezension zu Das ferne Land von Michael Baron

Rezension zu "Das ferne Land" von Michael Baron

von HeikeG vor 16 Jahren

Rezension

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HeikeGvor 16 Jahren
Manchmal nehmen Lebenswege eine unvermutete Wendung. Eine bewegende Geschichte über einen Vater, der um das Wichtigste kämpft: das Leben seiner Tochter, so verkündet es der neue Roman von Michael Baron Das ferne Land. Doch dem Anspruch wird dieses Buch nicht gerecht. Der Roman erzähle "schonungslos und doch zärtlich die Geschichte einer Scheidung, einer Krankheit und des Geschichtenerzählens selbst", so der Verlag, "Michael Barons emphatische Literatur schenkt Trost, Gefühl, Schmerz - und Wahrheit. Unsere wichtigste Kraft ist das Leben selbst. Solange wir nicht alles wissen, müssen wir mit Wundern rechnen." So wortreich das neue Buch Michael Barons Das ferne Land angekündigt wird, so weit bleibt es hinter den geweckten Erwartungen zurück. Dabei ist durchaus ein interessantes literarisches Grundgerüst vorhanden. Aber die glaubhafte Verknüpfung der einzelnen Handlungsstränge und vor allem interessant gezeichnete Personen, die durch ihr Agieren die Geschichte zum Leben erwecken, fehlen gänzlich. "Wie oft hatte er sich die Videos während der letzten vier Jahre angesehen, diese Dokumentation seiner wachsenden Bedeutungslosigkeit in Beckys Leben? Wie oft, seit er sie vor einem halben Jahr auf DVD überspielt hatte? Es rührte ihn zu Tränen, Becky mit ihrer Vorschulstimme sprechen zu hören. Wenn sie "Daddy" sagte, lag in diesem einen Wort eine komplette Definition all dessen, was an der Welt gut und richtig war. Und es klang, als ob sich alle Hoffnungen erfüllen und alle Schwierigkeiten überwinden ließen." Chris Astor sinniert auch vier Jahren nach der Scheidung von seiner Frau Polly darüber, warum seine Ehe kaputtgegangen ist. Die Trennung von seiner Familie und vor allem von seiner geliebten Tochter Becky hat ihn in ein tiefes Loch gezogen. ("Wenn er ganz ehrlich sein sollte, war das Leben - zumindest das, an dem er hing - an diesem Tag vorbei.") Das Verhältnis zwischen Chris und seiner Ex-Frau ist immer noch äußerst gespannt. Er ist in seinem "neuen" Leben - ohne seine Familie - noch nicht angekommen. Nur widerwillig übersteht er die zahlreich arrangierten Blind Dates seiner Freundin Lisa. ("Warum tue ich mir das bloß immer wieder an", fragt sich Chris und auch der Leser. Warum lässt sich ein gestandener Mann zu derartigen, nicht gewollten Handlungen durch seine - natürlich bildschöne, tolle, nur platonische - Freundin leiten?) Auch seinen geliebten Job als Genforscher "musste" er nach dem Sprung auf der Karriereleiter (er ist jetzt Leiter der Abteilung) an den Nagel hängen, um sich fortan nur noch mit Büroarbeit zu quälen. (Wird man heutzutage zum "Chefsein" gezwungen?) Am meisten quält ihn jedoch seine verfahrene Beziehung zu seiner mittlerweile vierzehnjährigen Tochter Becky, mit der er früher ein besonders vertrautes Verhältnis hatte. Als kleines Kind war sie an Leukämie erkrankt und überlebte nur knapp. Um sie damals von ihrer Krankheit und den Schmerzen abzulenken, hatten Chris und seine Tochter gemeinsam eine ganze Fantasiewelt - ein Königreich mit dem Namen Tamarisk - erfunden, eine Welt voller wundersamer Figuren und Magie, eine Welt, in der Becky niemals krank werden konnte. Nach der Scheidung und Chris' Auszug war das allabendliche Geschichtenerfinden zum Erliegen gekommen. Becky selbst hatte diese enge Verbindung zwischen ihnen gekappt. Doch die damalige Genesung scheint nicht von Dauer zu sein, verdächtige Symptome häufen sich und Becky fürchtet, dass die Krankheit sich erneut zurückmelden könnte. Umso verständlicher findet es Chris, dass seine Tochter angesichts eines erneuten Ausbruchs des Krebses wieder von dieser Welt zu sprechen und sich mit ihr zu beschäftigen beginnt und an eine wahrhafte Existenz zu glauben scheint, ja dass sogar ein Reisen zwischen den Welten möglich ist. Denn in Tamarisk hat man Hilfe bitter nötig: Eine Seuche ist ausgebrochen und das ganze Pflanzenreich steht kurz vor dem Untergang und damit auch alles Leben und jegliche Existenz. Die junge Königin Miea, die seit dem Unfalltod ihrer Eltern über das Land regiert, sieht der Epidemie mit Schrecken entgegen. Sie kann kaum etwas tun, um der Krankheit Einhalt zu gebieten und den Verfall ihres Königreichs zu verhindern. Im Gegensatz zu Beckys Mutter Polly, bei der die "Hirngespinste" ihrer Tochter auf völliges Unverständnis stoßen, wird Chris ebenfalls in den Bann der magischen Parallelwelten hineingezogen, bis er sich eingestehen muss, dass ihm die Fäden seiner selbstgesponnenen Geschichte zu entgleiten drohen.... Durchaus tief greifende Denkansätze hätte diese Erzählung liefern können. Das gewählte Thema Barons lässt interessanten Handlungs- und Erklärungsspielraum, aber die Umsetzung ist schlichtweg nicht gelungen. Stilistisch bewegt sich das Buch auf eher niedrigem Niveau. Ob dies an der deutschen Übersetzung durch Edith Beleites liegt, die sich vielleicht zu nah am englischen Wortlaut festhält, vermag ich nicht zu entscheiden, denn es ist mir trotz intensiver Recherche nicht gelungen, den Originaltitel zu finden. Die Personen des Romans sind allesamt oberflächlich gezeichnet sowie eindimensional konturiert. Sie bleiben eher blass und farblos und entsprechen den gängigen und zu erwartenden Stereotypen, was auch auf die gesamte Handlungsstruktur abgeleitet werden kann, die allzu klischeehaft daherkommt. Einen wirklichen Spannungsbogen aufzubauen gelingt Michael Baron an keiner Stelle, noch weist die Geschichte erzählerischen Tiefgang auf. Gerade die Fantasiereisen der todkranken Becky nach Tamarisk hätten den Leser intensiv in die Parallelwelt des kranken Mädchens eintauchen lassen können. Doch auch diese Chance wird vertan. Allzu konstruiert und oberflächlich wirken ihre Ausflüge. Dass das Eintauchen in imaginäre Welten funktionieren kann beweist der japanische Autor Haruki Murakami, der ein Meister des Faches und für diese Art zu schreiben berühmt ist. Michael Baron gelingt es jedoch nicht, ein schlüssiges Bindeglied zwischen Jetzt und Traum zu finden. Dieses Buch besteht aus zu vielen leeren Worthülsen und lieblos aneinander gereihten Sätzen. Vielleicht findet der Roman seinen Weg in der leichten Frauen- bzw. Unterhaltungsliteratur, für den anspruchsvollen Leser ist Das ferne Land wenig überzeugend. Fazit: Oberflächlich wird mit Wenig zu viel versucht. Am Ende bleibt nur Beliebigkeit übrig.
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