Mit der Stadt Terezín (deutsch: Teresienstadt) verbindet mich ein eigenartiges Band, seit ich vor fünf Jahren im Rahmen einer Gedenkstättenfahrt von meiner Schule aus dorthin reiste. Damals war ich gerade 15 und hatte nicht viel mehr Wissen über den zweiten Weltkrieg als aus ein paar mickrigen Geschichtsstunden zusammengetragen, dort (in Terezín) beschäftigten wir uns dann aber fünf Tage lang intensiv und ausschließlich mit dem Leben und Schicksal der Menschen, die damals in der Stadt untergebracht wurden. Wir wohnten ebenfalls in einer kleinen Jugendherberge mitten im Zentrum, uns trennte ein fünfminütiger Fußmarsch von einer Kaserne, in der es Frühstück und Abendessen für uns gab und der Zeitpunkt – Mitte November, es war kalt und regnerisch – schuf eine bedrückende Atmosphäre, die besser nicht hätte passen können.
Das Buch „Wir sind die Adler“ ist eine Nacherzählung der Erlebnisse von Michael Gruenbaum, zusammen geschrieben mit dem amerikanischen Autor Todd Hasak-Lowy. Die Erzählung beginnt nicht in Terezín, sondern in Prag (Praha), Michaels (Mischa genannt) Heimatstadt. Seine Familie, die durch den Beruf des Vaters, Jurist, bisher ein hohes Ansehen genossen hat, ist mittlerweile stark durch ihre Glaubenszugehörigkeit von den Verboten gegen Juden betroffen. Während des Einmarsches der Wehrmacht 1939 wird Mischa Zeuge eines schrecklichen Ereignisses, welches sich direkt vor dem Fenster seines Zuhauses zwischen einem Liebespärchen abspielt:
„Die beiden halten Händchen. Sie stehen jetzt nur noch mit den Hacken auf dem Balkonsims. Was machen sie denn bloß? Warum kommen sie nicht runter? Sie springen.“
Von da an nimmt das Schicksal der Familie Gruenbaum seinen schlimmen Lauf. Der Vater wird eines Tages von SS-Soldaten abgeholt und kommt nie wieder. Der inzwischen 12-jährige Mischa, seine Schwester Marietta und die Mutter der beiden werden 1942 nach Terezín geschickt, wo sie von nun an jeden Tag darum bangen, von den Transporten nach Birkenau verschont zu werden. Mischa schließt nach und nach eine ganz besondere Freundschaft: zu den Jungen seines Schlafsaals, die sich „Nesarim“ (hebräisch für „Adler“) nennen und deren Aufseher Franta. Gemeinsam geben sie sich Halt in diesen dunklen Zeiten und schaffen es tatsächlich, ab und zu so etwas wie „Normalität“ zu erreichen.
Für viele von Mischas Bekannten endet der Weg mit der Deportation in eines der umliegenden Konzentrationslager. Umso mehr grenzt es an ein Wunder, dass Mischa, Marietta und ihre Mutter bis zur Befreiung 1945 überleben.
Mich persönlich hat diese Erzählung unglaublich mitgenommen, da ich mich seit der Gedenkstättenfahrt ziemlich intensiv mit dem Holocaust und den Schicksalen der Betroffenen beschäftigt habe und während des Lesens ständig die Stadt vor Augen hatte, wie ich sie kennen gelernt habe, durch meinen eigenen Besuch sowie einige Filme, unter anderem dem originalen Nazi-Propagandafilm, der Terezín als Paradies und Zufluchtsort deklarierte. Es war ein bisschen so, als wäre ich hautnah dabei gewesen oder als würde Mischa neben mir sitzen und mir von seinen Erlebnissen berichten. Ich habe mittlerweile das Glück gehabt, mit mehreren Holocaust-Überlebenden sprechen zu dürfen und dass dieses Buch genauso wie die Berichte der Zeitzeugen keine Fiktion ist, sondern die realen Erlebnisse eines realen Menschen, ging mir unter die Haut.
Für viele Leute aus meiner Generation liegt der Krieg schon so weit entfernt, dass es kaum noch Möglichkeiten gibt, diese Leute dafür zu sensibilisieren, dass dieses Kapitel der europäischen Geschichte exakt so real ist wie momentane politische und gesellschaftliche Ereignisse. Das Buch „Wir sind die Adler“ zu lesen, zu verstehen und sich mit dem Erzählten auseinanderzusetzen ist eine dieser wenigen Möglichkeiten und ich finde, sie sollte genutzt werden.