Rezension zu Das Ende der Nibelungen und andere Erzählungen von Michael Hametner
Rezension zu "Das Ende der Nibelungen und andere Erzählungen" von Michael Hametner
von gst
Rezension
gstvor 13 Jahren
Im dritten Jahr des MDR-Literaturwettbewerbs drängten sich Begegnungsgeschichten in die erste Reihe. Zwölf Kurzgeschichten schafften es in diese Anthologie aus der "Sisyphosse-Bücherreihe". Eine Vorjury aus Schriftstellern, Literaturkritikern und Verlegern wählte aus insgesamt 514 Einsendungen von Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sieben Favoriten. Deren Autoren traten in einer vierstündigen MDR-Literaturnacht im Wettlesen gegeneinander an, so dass auch Hörerinnen und Hörer über den MDR-Literaturpreis mitentscheiden konnten. Sieger wurde Ulman Weiß, der in seinem geheimnisvollen Text "Femel" Vorurteile gegen Juden heraufbeschwört und am Beispiel eines Pfarrers, der eine Chronik verfassen will, Geschichte lebendig werden lässt. Axel Rapp bekam mit "Der Katzengott", in dem er eine kindliche Mutprobe beschreibt, den zweiten Preis. "Was macht Pepper" fragte Tanja Schwarz und charakterisierte anhand einer immer wiederkehrenden Begegnungen in mehreren Szenen die Entwicklung einer jungen Frau, was ihr den dritten Preis einbrachte. Michael Ernst schrieb in "Soldaten und Mörder" sehr anschaulich über die Arbeit einer Journalistin. Dirk Jakobs "Besuch" löst Angst aus und lässt eine Wohnungsinhaberin irrational handeln. In "Frau, Mann und Rose" von Jörg Jakob erlebt der Leser ein Blind Date mit. Erinnerungen an eine Dichter-WG beschwört Dieter Kulka in "Zuviel Pathos" herauf und eine Schmerztherapie der besonderen Art lernen wir in Joachims Nowotnys "Provinzposse auf Station 7" kennen. Mich persönlich wundert, dass Christine Zander, die mit Worten, die nur verstehen kann, wer ähnliche Situationen erlebt hat, "Die Liebenden" beschreibt, nicht unter den Preisträgerinnen ist. Sie wäre meine Favoritin gewesen, wohingegen ich mit Ekkehard Schulreichs "Ich beginne" (auf eineinhalb Seiten finden sich nur fünf Punkte, was das Lesen ziemlich erschwert) und Ralph Oehmes "Das Ende der Nibelungen" wenig anfangen kann. Sicherlich runden diese beiden Beiträge das ostdeutsche Schriftstellerbild aus dem Jahre 1998 ab. Nathalie Schmidts "Ättenbühl" beschreibt sehnsuchtsvoll ihr früheres Leben als Bergbäuerin in der Schweiz - was in seiner tiefgehenden Bodenständigkeit eigentlich gar nicht zur ostdeutschen Literatur dieser Epoche passt. Insgesamt hat mir die Zusammenstellung der Kurzgeschichten wieder ebenso wie in den vorangegangenen Jahren gefallen. Deutlich kristallisiert sich heraus, dass die Beiträge der Teilnehmer sich immer unter einem Oberbegriff zusammenfassen lassen (wie oben schon erwähnt, standen 1998 Begegnung im Vordergrund). Allerdings muss man sich Zeit zum Lesen nehmen und sich bei jedem Beitrag wieder erneut auf den Text einlassen. Geeignet ist das Büchlein als kurze Unterbrechung des Alltags; als "Gute-Nacht-Lektüre" ist es in meinen Augen weniger geeignet, da es sich lohnt, über jeden einzelnen Inhalt nachzudenken.