Rezension zu "Alphamännchen mit Betablocker" von Michael Hertig
Eine Lebensgeschichte, die zu Herzen geht, den Leser manchmal auch verwundert, mindestens aber nachdenklich zurücklässt, jedoch niemals langweilt.
Dabei muss der Leser gar nicht so genau wissen, was der Autor tatsächlich erlebt hat, was Fiktion ist, denn was Michael Hertig über seine Kindheit und sein weiteres Leben im West-Berlin der 60er und 70er Jahre berichtet, unterhält in jedem Falle.
In der ersten Hälfte des Romans muss der kleine Michael nicht nur den frühen Tod seines Vaters verkraften, sondern findet auch seine Mutter nach einem Selbstmordversuch leblos zu Hause vor. Da sie danach für mehrere Jahre in der Psychiatrie bleibt, wächst er in der Familie seines Onkels auf, wo er zwar versorgt wird, aber nicht wirklich echte Verbundenheit und Liebe erfährt. Durch seine offene, und trotz dieser Schicksalsschläge positive und lebensbejahende Art gelingt es ihm, viele Freunde zu finden, und mit ihnen auch die schönen Seiten des Lebens im Berlin der Spät-Hippiezeit zu erleben. Auch bei den Frauen kommt Michael gut an und erlebt mehrere unterschiedlich intensive Liebesbeziehungen, die aber ebenso wie einige seiner langjährigen anderen Freundschaften auch wieder zerbrechen.
Im weiteren Verlauf des Romans schafft es der Autor, der ohne echten familiären Rückhalt groß wird nicht, eine wirklich nachhaltige Lebens- und Berufsperspektive zu finden, und sein Leben selbstverantwortlich in die Hand zu nehmen. Dennoch: Wie Michael sich durch sein Leben treiben lässt, dabei mit schweren Krankheiten fertig werden muss, mehrere gute, aber letztlich zum Scheitern verurteilte Geschäftsideen entwickelt, und später enorme Schulden anhäuft, beschreibt er auf eine lakonische, eher distanzierte Art und Weise, gleichzeitig aber durchaus humorvoll und lebendig, so dass der Leser immer ahnt, dass sich das Blatt auch wieder wenden könnte. Seine detaillierten Reisebeschreibungen, die auch Rückblicke in die politischen und kulturellen Ereignisse jener Zeit sind, die Ausflüge in Film, Musik und Lebensgefühl der 70er haben mich besonders gut unterhalten. Auch haben mir als in etwa gleichaltrige, in derselben West- Berliner Umgebung aufgewachsenen Leserin die Rückblicke auf das ziemlich wilde Schul- und Studentenleben der frühen 70er Jahre, sowie die Taxi- Episoden gut gefallen.
Alles in allem wird man von diesem Roman gut unterhalten, gleichzeitig aber auch zum Nachdenken angeregt, vor allem über die Bedeutung von Glück, Schicksal und selbstbestimmten Handeln. Eine Lektüre, die ich nur weiterempfehlen kann!