Cover des Buches Madalyn (ISBN: 9783446235977)
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Rezension zu Madalyn von Michael Köhlmeier

Rezension zu "Madalyn" von Michael Köhlmeier

von HeikeG vor 14 Jahren

Rezension

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HeikeGvor 14 Jahren
Wenn der große Sehnsuchtsklotz zerbricht . Schmetterlinge im Bauch, schwebend auf Wolke sieben, Händchenhalten, Liebesbriefe, der erste Kuss und womöglich das „erste Mal“. Die Rede ist von der ersten Liebe. Wer erinnert sich nicht gern daran zurück? Sie ist wohl die emotionalste Zeit im Leben, in der man die Welt neu ergründen möchte. Und um genau die geht es in Michael Köhlmeiers neuem Roman „Madalyn“, nur läuft sie in seiner Erzählung nicht ganz so schwerelos für die Protagonistin ab. . Wie bereits in seinem Opus Magnum, dem 2007 für den Deutschen Buchpreis nominierten „Abendland“, agiert auch in „Madalyn“ der Schriftsteller Sebastian Lukasser, dieses Mal als Ich-Erzähler. Auch hier schüttet ihm ein anderer sein Herz aus. War es in „Abendland“ der 95-jährige Carl Jacob Candoris, der seine Lebenserinnerungen, die sich schon bald als eine Art Geständnis herauskristallisieren, diktiert, so setzt der österreichische Autor dieses Mal ein 14-jähriges Mädchen in die Rolle der Beichtenden. Sie wählt Lukasser - Köhlmeiers Alter Ego - als ihren Vertrauten, dem sie von den ersten aufregenden Gefühlen erzählt, die sie für einen Mitschüler hegt sowie der damit einhergehenden Probleme mit ihren Eltern. . Der Autor kennt Madalyn schon seit ihrer Geburt, die Familie Reis wohnt ein Stockwerk unter ihm. Ein Unfall, in den die 5-jährige mit ihrem zum Geburtstag erhaltenen Fahrrad verwickelt wird, schweißt die zwei eng zusammen und Lukasser wird so etwas wie ein großer Freund, ein Vertrauter für das heranwachsende Mädchen. Doch dann tritt Moritz in deren Leben, der Junge, der so wunderbar dichten kann. Das „Mo- klang, wie helle Schokolade riecht, und sah auch so aus, und das -ritz schmeckte süß und scharf in einem, und wenn es eine Farbe gehabt hätte, wäre es ein leuchtendes Orangerot gewesen.“ Aber der zwei Jahre ältere Junge ist alles andere als ein „Liebling aller Schwiegermütter“. Aus problematischen Familienverhältnissen stammend hat er sich zum notorischen Lügner entwickelt und fährt offensichtlich nicht nur Madalyn auf seinem Fahrrad spazieren. Doch das junge Mädchen hat sich schon längst in ihrer eigenen Parallelwelt eingerichtet und das Erwachen aus dieser wird recht schmerzhaft für sie. . Lukasser ist mit den Offenbarungen des jungen Mädchens überfordert. Er kann mit dem Auf und Ab ihrer Gefühlswallungen schlecht umgehen. Vielleicht auch daher, weil „das ordnende, formende, die Wirrnis des Lebens durchsichtig und übersichtlich machende Wirken der Literatur“ in der Realität nicht greift. Weil sie eben kein emotionales Notprogramm, kein Katalog mit Präzedenzfällen ist, aus der man sich die Lösung für jedwedes Problem nur herauszuziehen braucht. Weil ein Mensch anders reagiert als ein Blatt Papier... emotional und zuweilen kopflos. „Ich hatte über all die Jahre kein richtiges Bild von ihr. Ich hatte ein Bild von ihr, aber das hatte ich aus der Luft gegriffen, aus der Sentimentalität meines unbedankten Heldentums, ein präliterales Ding war sie für mich gewesen, eine Inspiration. Tatsächlich hatte ich irgendwann eine Erzählung begonnen, in der ein Abenteuer wie das unsere im Mittelpunkt stehen sollte. Das hier aber strengte mich an, ich wollte Charaktere in den Computer hacken und nicht in der Wirklichkeit ein Bild korrigieren, das ich mir einmal gemacht hatte und das mehr über meine Rührseligkeit mir selbst gegenüber verriet als über Madalyn. (...) Ich hatte mich nie für die Wahrheit zuständig gefühlt, Warum ausgerechnet jetzt?“ . Erneut stellt Michael Köhlmeier sein herausragendes erzählerisches Talent unter Beweis. Seine Protagonisten beobachtet er mit präziser Genauigkeit. So entsteht ein scharf gezeichnetes Bild seines Gegenüber, das einmal zart, ein anderes Mal auch schonungslos direkt wiedergegeben wird. Sein Roman offenbart wie alle seine Bücher einmal mehr großartige Charakterstudien. Dabei stellt er sich oder sein Alter Ego genauso an den Pranger wie das seiner literarischen Helden. Aber immer ist dabei seine große Liebe zu den Menschen zu spüren. . Fazit: „Wie viele Bücher würden wir verabscheuen, wenn wir die Geschichte ihrer Entstehung wüssten.“, sinniert Sebastian Lukasser, der Ich-Erzähler in Michael Köhlmeiers Roman „Madalyn“. Der österreichische Autor erzählt sie dem Leser. Aber zu Ressentiments führen sie keineswegs. Im Gegenteil: Ein kleiner durchkomponierter Roman, dessen Wörter sich wie Noten zu einer Melodie fügen und ein kleines elegisches Stück in einem zarten Mollton erklingen lassen.
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