Cover des Buches Erhöhtes Risiko (ISBN: 9783593509921)
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Rezension zu Erhöhtes Risiko von Michael Lewis

Wenn Desinteresse zur Gefahr wird

von Christian_Mayer vor 5 Jahren

Kurzmeinung: Dank des Buchs verstehe ich mein ungutes Gefühl bezüglich Donald Trump.

Rezension

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Christian_Mayervor 5 Jahren
Trump "starrte schweigend auf den Bildschirm, wie ein Pokerspieler mit einem Pärchen Zweier, dessen Bluff gerade aufgeflogen ist. Sein Wahlkampfteam hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, eine Siegesrede vorzubereiten. Es war nachvollziehbar, dass Trump keinerlei Interesse daran hatte, sich auf die Regierungsübernahme vorzubereiten: Warum soll man sich auf eine Prüfung vorbereiten, die man gar nicht ablegen will?" (S. 23) Mit diesen Worten beschreibt Michael Lewis jenen Moment um 2 Uhr morgens, als die Endergebnisse aus Pennsylvania eintrafen und feststand: Donald Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Nicht nur Trump, wohl auch der Großteil der Menschen weltweit konnte sich nicht vorstellen, dass die Wahl mit diesem Ergebnis enden würde. Umso wichtiger ist es sich anzusehen wie das System funktioniert, das Trump übernimmt und an dem er offensichtlich kein Interesse hat.
Deshalb richtet Lewis den Blick nicht auf die Person Trump, sondern auf die Ministerien. Jene Institutionen die dafür sorgen, dass alles am Laufen bleibt. So erhält der Leser Einblicke in die Aufgaben des Energieministeriums, des Handelsministeriums und des Landwirtschaftsministeriums. Das klingt trocken, klingt langweilig. Es ist ein Verdienst von Lewis zu zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Hier findet nicht nur Realpolitik statt, sondern auch Grundlagenforschung zu allen möglichen Themen im zivilen wie militärischen Bereich.
Mit der Arbeit dieser Ministerien steht und fällt die Handlungsfähigkeit des Staates. Deshalb müssen die letzten verbleibenden Kandidaten für das Amt des neuen Präsidenten per Gesetz ein Übergangsteam bestimmen, das im Falle eines Wahlsiegs sofort die Geschäfte übernehmen kann. Allein Trump hatte kein Interesse solch ein Team zu bilden. Geschweige denn Geld dafür auszugeben. Und während es üblich ist, dass die Mitarbeiter dieser Übergangsteams am Tag nach der Wahl die jeweiligen Ministerien aufsuchen, um sich von diesen über ihre Aufgaben unterrichten zu lassen, besuchte niemand aus der Administration Trump diese Institutionen. Häufig auch wochenlang danach nicht.
Hat man aber - dank Lewis - verstanden, woran diese Institutionen arbeiten, kann man sich eines beklemmenden Gefühls nicht erwehren. Der Titel "Erhöhtes Risiko" mag da noch untertrieben sein. Mit Lewis' Buch erhält der Leser Einblicke in ein System, in das Trump hineingewählt wurde - und dessen Desinteresse an Politik nicht nur das System gefährdet, sondern ganz konkret Menschenleben. Dass Trump eine Gefahr ist für den sozialen Zusammenhalt der US-Amerikaner, für die Versorgung der Bürger mit ganz grundlegenden Hilfen und nicht zuletzt für Friedensbemühungen weltweit, das weiß jeder der sich die Entwicklungen mit offenen Augen ansieht. Einem unguten Gefühl wird sich kaum jemand erwehren können. Dank Lewis bekommt dieses Gefühl ein konkretes Bild, weil der Leser versteht, welche wichtigen Aufgaben den Ministerien zukommen und in denen hochkarätige Wissenschaftler sitzen. Eine Gefahr besteht deshalb, weil Trumps Minister - so sie dann doch einmal ihre Ministerien besuchen - ebenso wenig an ihrer Arbeit interessiert sind. Stattdessen werden Gelder gestrichen, Mitarbeitern wird verboten, das Wort "Klimawandel" zu verwenden, unliebsame Persönlichkeiten werden observiert oder gleich ganz vor die Türe gesetzt. Das führt zu unglaublichen Instabilitäten.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist der amerikanische Schreibstil von Lewis. Einblicke in die Ministerien erhält der Leser häufig über die Geschichte einer wichtigen Persönlichkeit, die für diese Ministerien arbeitete. Hin und wieder kommt der typisch amerikanische Personenkult durch. Gepaart mit einem (versucht) lockeren Sprachstil. Auch mag man Lewis bisweilen eine einseitige Glorifizierung der Ministerien unterstellen, wenn bspw. das Fracking als wunderbare Erfindung gepriesen wird, weil es die USA unabhängiger mache von Energieimporten oder dort, wo er euphorisch anführt, zu welche Milchleistung heutige Kühe herangezüchtet wurden. Der Brisanz der Thematik wegen sollte einen das aber nicht abschrecken. Zumal die Darstellungen der Aufgaben zu den Atom-, Wissenschafts- und Sozialprogrammen selbst wieder interessant zu lesen sind.
Besonders zu Beginn fühlt man sich an die Serie "House of Cards" erinnert, in der der mittlerweile in Ungnade gefallene Schauspieler Kevin Spacey in der Rolle des Frank Underwood als machthungriger Politiker nach seinem gut Dünken schaltet und waltet. Koste es was es wolle. Unangenehm weil realer ist die Szenerie im echten weißen Haus. Anders als ein cineastisches Spiel mit der Wirklichkeit haben Trumps Entscheidungen, Änderungen und Unterlassungen ganz reale Auswirkungen. Und scheinbar fehlt ihm die geistige Brillanz eins Frank Underwood. Denn Lewis stellt fest: "Es reicht nicht aus, die besten forensischen Physiker der Welt zu beschäftigen. Unsere politische Führung muss auch bereit sein, ihnen zuzuhören, und sie muss das geistige Rüstzeug mitbringen, um sie zu verstehen." (S. 57) Wahrlich eine brenzlige Kombination.
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