Rezension zu "Reigen. Zehn Dialoge. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen, Editorischer Notiz, Literaturhinweisen und Nachwort" von Arthur Schnitzler
awogflivor 4 JahrenSchnitzler selbst wollte den Reigen ursprünglich nicht veröffentlichen, weil er ihn literarisch für zu wenig anspruchsvoll hielt. Dieser ersten und ursprünglichen Einschätzung des Autors muss ich bedauerlicherweise vollends zustimmen. Ich glaube, ich habe nur einen schlechteren Schnitzler als den Reigen gelesen, und ich hab sehr viele gelesen.
Wenn mal mal vom Skandal, den das Werk zu seiner Zeit verursacht hat, absieht und das Theaterstück im Lichte der heutigen Zeit betrachtet, dann bleiben nur noch extrem platte Dialoge übrig, die der Güte von Schnitzlers Fabuliertalent recht unwürdig sind.
Lediglich eine Geschichte fand ich von der Konstruktion her ansprechender: Die junge Frau und der Ehemann. Als der betrügende Ehemann von der Tugend von Frauen faselt, seine Frau sogar dazu anhält, dass sie sich sogar nicht mit Freundinnen abgeben soll, die ihrerseit ihre Ehemänner betrügen, nichts ahnend dass seine Frau ihm schon längst die Hörner aufgesetzt hat. Einerseits treibt er es selbst mit verheirateten Frauen, kommt aber nie auf die Idee, dass ein anderer Mann so etwas auch tun könnte. Wo sollen denn all diese untreuen Frauen sonst herkommen. Das ist irgendwie naiv und auch köstlich, denn er nimmt sich in der Ehe etwas heraus, was er bei seiner Frau nicht einmal zu denken wagt und bekommt hinterrücks die Rechnung präsentiert.
Ein zweiter innovativer Punkt des Dramas ist die Szenenanordnung. Wie ein Staffelholz der Liebelei oder wie eine Geschlechtskrankheit wird der sexuelle Akt von einem zum anderen weitergegeben - quer durch die Gesellschaftsschichten von Nutte auf Soldat auf Dienstmädchen auf feiner Herr auf feine verheiratete Dame auf Ehemann auf süßes Mädel ... bis wir am Ende wieder auf die Nutte der ersten Szene treffen. Das klingt nach einem seriellen Gang Bang in dem das Token (Ausdruck aus der IT) in einem Ring weitergegeben wird. Token-Ring war übrigens eine Form von Netzwerkstruktur, nicht mehr ganz aktuell aber so passend auf dieses Stück wie nur was.
Diese zwei positiven, beziehungsweise innovativen Aspekte, die ich hervorgehoben habe, sind auch der Grund, warum sich das Werk bei mir das zweite Sternderl verdient hat, ansonsten ist nix dran am Reigen. Nun werde ich mir den Reigen reloaded zu gemüte führen, der das Werk in die heutige Zeit versetzen will - ich bin schon gespannt ob der Remix von heute besser wird als das Original.
Fazit: Lest einen Schnitzler, aber einen anderen! Im Rahmen der Theaterstücke kann ich Das weite Land empfehlen bei Schnitzlers Novellen ist fast alles gut.