Cover des Buches Deutschland misshandelt seine Kinder (ISBN: 9783426276167)
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Rezension zu Deutschland misshandelt seine Kinder von Michael Tsokos

Kurz und bündig, trotzdem informativ

von Liebes_Buch vor 10 Jahren

Rezension

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Liebes_Buchvor 10 Jahren
Die beiden Gerichtsmediziner Michael Tsokos und Saskia Guddat haben mit ihrem Ghostwriter Andreas Gößling das Buch "Deutschland misshandelt seine Kinder" herausgebracht, um die Öffentlichkeit wachzurütteln. Das Buch richtet sich an die Gesellschaft, nicht an wissenschaftliche Spezialisten, und schlägt darum einen flotten bis frechen Ton an, der das Buch sehr lesbar macht. Ihr Anliegen formulieren sie nicht versachlicht, sondern ergreifen Stimme für die Kinder. Wir erfahren, dass Kindesmisshandlung das häufigste Gewaltdelikt ist- trotzdem sind weder Polizisten, Richter, Ärzte oder Sozialarbeiter dafür Ausgebildet. Viele wissen nicht, dass ein Gerichtsmediziner zur Untersuchung von Verletzungen geholt werden kann, wenn der Verdacht besteht, ein Kind sei misshandelt worden. Auch ich wusste bisher nicht, dass Gerichtsmediziner überhaupt Menschen untersuchen, die noch leben. Ihre Gutachten können Gewalttaten beweisen und so dem Kind Schutz und rechtliche Ansprüche sichern. Tsokos und Guddat schildern Fälle aus ihrer Arbeit und thematisieren eine Art kollektiven Wegsehens und Leugnens gegenüber dem Leid, dem Hunderttausende Kinder mitten unter uns ausgesetzt sind und an dem Hunderte jedes Jahr sterben müssen. Die Gerichtsmediziner kritisieren eine fehlende Reaktionspflicht der Kinderärzte, haarsträubende Gesetze und passive und unterbesetzte Jugendämter, die das Leid der Kinder zwar beobachten, jedoch nicht einschreiten. Der Leser erfährt, dass womöglich wirtschaftliche Gründe die Not der Kinder schüren: Kinderärzte, die bei Misshandlunsverdacht reagieren, werden von den Erwachsenen gemieden und somit ruiniert; Jugendämter lagern aus Sparsamkeit ihre Aufgaben aus, die Kinderschutzträger bekommen ihre Gelder nach Zahl der Kinder, die in Misshandlungsfamilien verbleiben, zugewiesen- wird das Kind von der Familie getrennt, gibt es kein Geld. Nicht in jedem Bundesland wird der Einsatz eines Gerichtsmediziners finanziert, teilweise werden dafür Spendengelder benötigt. Während die häusliche Gewalt gegen Kinder rasant zunimmt, werden die Stellen vom Jugendamt abgebaut. Nachdem Tsokos und Guddat es geschafft haben, die Not der Kinder für drei Tage in die Medien zu bringen, gibt es auch viel Kritik an dem Buch. Sind einem die finanziellen Hintergründe bewusst, versteht man auch, warum sich die Verantwortlichen nicht bewegen wollen. Die Gerichtsmediziner offenbaren: "Für den Schutz und die Förderung der Kinder in diesem Land sind zuerst und zuletzt wir selbst verantwortlich- die bürgerliche Zivilgesellschaft." Das Buch räumt mit zahlreichen Mythen und Illusionen rund um den Kinderschutz auf, so dass ich es für sehr empfehlenswert halte. Traurige Seite des Buches: Täter erfahren hier in ganzer Fülle, was alles möglich ist- diese nützlichen Hilfen beziehen sie aber leider auch schon von Anwaltschaft und Jugendamt. Der harmlose Bürger wandelt jedoch in dummer Ahnungslosigkeit. Dieser Zustand zumindest kann durch diese Lektüre etwas gebessert werden. Kinderlieb geht anders :( Ich danke Droemer für den Mut, das Leid der Kinder zu thematisieren.
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