"Das Gedicht des Pornographen" ist in erster Linie eines: schonungslos offen und ehrlich. Der Coming-of-Age-Roman spielt in den späten Siebzigern in Vancouver und handelt vom Verlust der kindlichen und sexuellen Unschuld eines sensiblen Außenseiters.
Durch eine außergewöhnliche Lehrerin in der High School lernen der namenlose Ich-Erzähler und seine Schulfreundin und Nachbarin Nettie den Umgang mit der Super-8-Kamera. Als er eines Tages heimlich die extravaganten Liebesspiele seiner Nachbarn filmt und den Kurzfilm in Umlauf bringt, wird er schlagartig in den avantgardistischen Kunstkreisen der Stadt bekannt. Er steigt in die Welt der Kleinkriminalität und der Drogen ab; schräge Typen, Musik, Unsicherheit, innere Leere, das stete Gefühl des Verlorenseins und die Frage "Wo komme ich her, wohin will ich gehen?" begleiten sein Erwachsenwerden.
Die Geschichte ist auch eine Abrechnung mit den überkommenen und verlogenen Moralvorstellungen der Erwachsenen und lotet die Grenzen zwischen Kunst versus Pornografie aus; doch in erster Linie ist es eine großartige Liebeserklärung an seine Partnerin Nettie, mit der ihn körperliche Entdeckungsreisen und ein gemeinsamer Spirit verbinden.
Michael Turner bedient sich mehrerer Erzähltechniken: Den Hauptrahmen bilden die Schilderungen des Ich-Erzählers, die sich mit Briefen Netties, Drehbuchausschnitten zu pornografischen Filmentwürfen und kurzen Frage- und Antwortdialogen einer gottähnlichen Instanz abwechseln. Dieses Verhör eines auktorialen Alleswissers ist der einzige halbe Minuskritikpunkt, denn es unterbricht den Lesefluss unnötigerweise und stellt die Zuverlässigkeit des Erzählers in Frage.
Mir hat der Roman vor allem wegen seines ungehemmten, authentischen und dichten Erzähltons ausnehmend gut gefallen. Wer mal etwas abseits vom Mainstream lesen möchte, wird hier sicher seine Freude haben.
Michael Turner
Alle Bücher von Michael Turner
Das Gedicht des Pornographen
Fathom Vol. 1 #0.5
Neue Rezensionen zu Michael Turner
Turner verpasst seiner Coming-of-Age Geschichte einen seltsam konventionellen, wenn nicht sogar konservativen oder gar reaktionären Erzählrahmen: Sein Protagonist sitzt im Vorzimmer von Gott, und dann wird er sozusagen in die Mangel genommen. Eine Befragung findet statt, die sich gewaschen hat, fast wie beim KGB! Wieso? Porno ist heute im Mainstream angekommen, keiner kräht danach, wenn man weiß, wer Gina Wild ist. Dieser moralinsaure Zeigefinger, den hätte er nicht gebraucht, denn dazu ist seine Geschichte viel zu gut. Der Protagonist erzählt, wie er, mehr oder weniger unfreiwillig und gleitend, in die Pornobranche abrutscht (allerdings noch völlig harmlos, alles hat den Touch der "Golden Ara of Porn") dort die Kamera führt und nebenbei eigene sexuelle Erweckungserlebnisse verarbeitet. Das ist nett und auch amüsant zu lesen, Turner bleibt bei nah an seinen Protagonisten, fängt einiges an Flair und Atmosphäre ein; Porno chic rulte damals wohl doch sehr. Bis auf das Manko mit dem Erzählrahmen ein ordentliches Buch...
Ein uraltes Thema: Kunst vs. Pornographie. Oder Kunst und Pornographie. Oder Kunst oder Pornographie.
Eine sicher ewige Debatte.
Ich mag Bücher wie diese, die aus der Perspektive eines "anderen" Protagonisten erzählen, oft ein Sonderling, eher weg vom Mainstream. Und Michael Turner erzählt die Story auch via verschiedene Textsorten: neben der Ich-Perspektive der Hauptfigur gibt es Treatment-ähnliche Filmszenenbeschreibungen oder die Briefe einer weiblichen Figur. Außerdem - und das ist ein zusätzlicher Spannungsbogen- muss der Protagonist immer wieder Fragen beantworten, von Beginn an, ohne dass man weiß, wer ihn da aus welchen Grund befragt. Es könnte ein Interview sein, oder ein Verhör...
Kurzweilig, nachdenklich und inspirierend. Und auch wenn Turner oft sehr konkret wird und kein Detail auslässt, schlecht pornograpisch wird es nie, wenn man denn solche Stellen als Pornographie etikettieren will.
Gespräche aus der Community
Community-Statistik
in 30 Bibliotheken
auf 7 Merkzettel