Cover des Buches Die Frau des Gouverneurs (ISBN: 9783630873893)
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Rezension zu Die Frau des Gouverneurs von Michael Wallner

Schmöker mit Anspruch

von alasca vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Liebesgeschichte aus der Zeit vor dem Schwarzen Freitag, in exotischem Setting, mit Actionfaktor und realistisch verhaltenem Happy End.

Rezension

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alascavor 9 Jahren
Schmöker mit Anspruch
1929, kurz vor der Weltwirtschaftskrise: Der Lübecker Chemiker Christian Tolmein ist auf Kuba, um seine tüchtige Verlobte Carlotta, Erbin der Dücker Hochofen AG, bei Verhandlungen mit der kubanischen Regierung über Nickelschürfrechte zu unterstützen. Den Aufenthalt in Kuba mit seiner tropischen Hitze und den lästigen diplomatischen Pflichten an der Seite Carlottas würde er lieber heute als morgen beenden - bis er Yamilé kennenlernt, „Die Frau des Gouverneurs“.

Im ersten Teil des Romans beschreibt der Autor den ersten Aufenthalt Tolmeins auf Kuba; Teil 2 schildert Tolmeins Wiederkehr.

Yamilés erster Auftritt im Roman ist dramatisch und symbolhaft: Sie fährt mit ihrem Motorrad zu schnell über eine Bambusbrücke, die dadurch einstürzt. Christian, der nüchterne Wissenschaftler, der Menschen gern mit chemischen Elementen vergleicht, ist unwillkürlich beeindruckt – und das noch mehr, als er erfährt, dass Yamilé (gegen die Interessen ihres Mannes) die einheimischen Arbeiter in ihren umstürzlerischen Bestrebungen unterstützt. Tolmein lässt wider besseres Wissen von ihr in ihre Aktionen verwickeln, bis der Gouverneur diesen Kontakt nicht mehr ignorieren kann, will er das Gesicht nicht verlieren. Schließlich ist die diplomatische Situation so verfahren, dass Christian und Carlotta abreisen. Zwischen Kuba und Deutschland entspinnt sich eine romantische Korrespondenz über eine Distanz, die es Yamilé ebenso wie Christian erlaubt, sich stärker füreinander zu öffnen als es sonst vielleicht möglich gewesen wäre.

Wallner beschreibt den allmählichen emotionalen Wandel seines männlichen Protagonisten sehr überzeugend; glaubte der am Anfang des Romans noch, sein Gefühl für Carlotta sei Liebe, kann er mit dem Ende des ersten Romanteils diese Einschätzung nicht mehr aufrecht erhalten. Wallner zeigt den typischen Verlauf einer Leidenschaft, deren erotische Spannung sich aus der Fremdheit speist. Die Gefahr, das Versteckspiel vor den Spitzeln des Gouverneurs, die ständig nötige Wachsamkeit tragen das ihrige dazu bei.

Sehr schön die dichte Schilderung des tropischen Kubas mit seiner Vegetation und schwülen Hitze, das zu den norddeutschen Wintern in Kontrast gesetzt wird. Man meint die Feuchtigkeit zu fühlen, den Schweiß zu spüren, der bei der kleinsten Anstrengung ausbricht. Auch geschichtlich ist Wallner eine bildhafte Darstellung der fiebrig-hektischen Zeit vor dem Schwarzen Freitag gelungen. Zusätzliche Resonanz ergibt am Ende das Auftauchen eines gewissen jungen Mannes namens Fidel Castro…

Eine kleine Schwäche des Romans sind seine Frauenfiguren: Sie sind dem Autor nicht ganz schlüssig geraten. Yamilé als tropische Schönheit muss natürlich träge sein (was mit ihrem revolutionären Engagement schlecht zusammenpasst); Carlotta ist grenzenlos großzügig und verständnisvoll und wendet sich selbst dann nicht von Christian ab, als sie erkennt, dass er eine andere liebt. Sie lässt sogar zu, dass ihr Vater Christian zurück nach Kuba schickt, um dort eine Brücke zu bauen – Resultat der Intrigen des US-amerikanischen Botschafters, ein wahrer Bösewicht, der nicht nur die Fäden zieht, die den Gouverneur bewegen, sondern auch noch schwul und opiumsüchtig ist. Seine frustrierte Alibi-Ehefrau mit ihrer befreienden Bosheit fand ich die gelungenste Frauenfigur im Roman; nur schade, dass ihr Erscheinen begrenzt war.

Fazit: Ein Unterhaltungsroman mit Anspruch in einer schönen, kreativen Sprache, mit farbig-exotischem Setting und einer Liebesgeschichte, die zum Actionkracher mutiert, bevor sie sehr verhalten happy-endet. Genau das richtige Buch, um sich für einen regnerischen Schmökertag auf dem Sofa einzukuscheln.
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