Rezension zu "The Remains of the Day" von Kazuo Ishiguro
Achtung: Ich gehe in dieser Rezension auch auf das Ende des Buches ein, wer das Werk (etwa durch die Verfilmung) noch gar nicht kennt und sich das Ende offenhalten möchte, sollte den betreffenden Abschnitt (ist markiert) nicht lesen.
Großbritannien in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der alternde Butler James Stevens hat sein ganzes Leben seinem Beruf und seinem Dienstherren Lord Darlington gewidmet. Nach dessen Tod wurde das Anwesen Darlington Hall von dem Amerikaner Mr Farraday erworben, dieser ist somit Stevens’ neuer Dienstherr. Doch nicht nur der Besitzer hat sich geändert – die Zeit der großen Häuser mit großem Personal ist vorbei, Stevens arbeitet mit stark reduzierter Belegschaft. Als er von der früheren Hausdame Ms Kenton, nunmehr Mrs Benn, einen Brief erhält, in dem sie andeutet, dass ihre Ehe zu Ende ist, scheint Stevens die Lösung für seine Personalprobleme klar: Seine frühere Kollegin, mit der ihn eine enge professionelle Beziehung verband, soll als Hausdame nach Darlington Hall zurückkehren. Stevens macht sich mit dem Auto auf den Weg nach Cornwall, wo Mrs Benn heute lebt. Den Weg dahin verbindet er mit einer Art Kurzurlaub, der ihm viel Zeit gibt, seinen Werdegang und seine Beziehung zu Ms Kenton bzw. Mrs Benn Revue passieren zu lassen.
Kazuo Ishiguro führt uns anhand eines Berichts in der ersten Person im Tagebuch- oder eher Stream-of-Conciousness-Stil vor Augen, was einen britischen Butler zu Beginn des 20. Jahrhunderts ausmachte. Ein zentraler Begriff, den Stevens dem Leser ausführlich erklärt, ist der der professionellen Würde: das höchste Maß für einen wirklich “großartigen” Butler und die Grundlage für seinen Stolz. Wie sehr dieses Streben nach Würde Mr Stevens jedoch die Menschlichkeit entzieht, ist ihm nicht bewusst, er erzählt von Ereignissen, etwa vom Tod seines Vaters, von seinem professionellen Standpunkt aus, der sein ganzes Dasein bestimmt. Von einem britischen Butler wurde eine bedingungslose Loyalität gegenüber seinem Dienstherren erwartet, er wurde quasi zu einer Art Roboter oder Android, der jegliche Gefühle, Zorn und Wut, Trauer und – vor allem – Liebe unterdrückt. Ein bisschen erinnert Stevens an einen Mr Data oder Mr Spock, der immer rational handelt ohne Berücksichtigung von Gefühlen. Im Gegensatz zu Mr Data ist er sich jedoch nicht darüber im Klaren, dass ihm die Menschlichkeit abhanden gekommen ist. Am frappierendsten zeigt sich das an der Beziehung zu Ms Kenton, die offensichtlich Gefühle für ihn hegt, jedoch aus schierer Professionalität bei jeder Andeutung immer wieder von Stevens zurückgewiesen wird.
Ishiguro bedient sich wie bei einem altehrwürdigen Butler angemessen eines tadellosen und akzentfreien Renounced English, das vom hervorragenden Hörbuchsprecher Dominic West ebenso perfekt umgesetzt wird. Dieses Englisch ist leicht antiquiert, wirkt teilweise nahezu bizarr, vor allem der Gebrauch von “one” als Personalpronomen. (Ein Englischdozent warnte uns während des Studiums eindringlich vor dem Gebrauch dieses Pronomens, denn “you will sound like Prince Charles!”)
Demgemäß ist das Hörbuch besonders leicht verständlich, abgesehen vielleicht von den Passagen der Bewohner von Devon und Cornwall, deren Akzent Dominic West wiederum sehr glaubwürdig einsetzt.
Ein großartig geschriebenes Buch über verpasste Chancen und das Ende einer Ära.
Spoilergefahr!
Erst bei der Konfrontation mit seiner ehemaligen Kollegin wird Stevens klar, dass er sein eigenes Leben an seinen Beruf und einen Dienstherren verschwendet hat, der dies als zeitweiser Nazisympathisant womöglich gar nicht verdiente. Er hat jede Chance auf persönliches Glück verschenkt. Diese Erkenntnis trifft ihn hart und wirkt auf den Leser schier herzzerreißend. So bleibt dem Butler nur noch, das Beste aus dem Rest seines Lebens zu machen. Doch was setzt er sich als Ziel? Er will seine Schlagfertigkeit in Gesprächen verbessern, da sein neuer Chef dies offenbar erwartet. Also wieder ein Ziel, das auf seinen Beruf ausgerichtet ist. Mr Stevens wird wohl auch seine letzte Chance verschenken, was der Traurigkeit des Romans die Krone aufsetzt.