Rezension zu "Trau dich!" von Michaela Dietl
Dem Leben aufgeschlossen begegnen
Die Idee, die Dinge des Lebens kontrollieren und sichern zu können, alles vorweg bereits zu bedenken und damit keine unliebsamen Überraschungen erleben zu müssen, ist sicher so alt wie die Menschheit selbst. Ein Bedürfnis nach Sicherheit, dass eine Grundbefindlichkeit des Menschen darstellt, durchaus ja auch gute Gründe hat, Regularien, religiöse System, zigtausende Seiten an Rechts-Regeln, Versicherungen für alles und gegen jeden und vieles mehr hervorgebracht hat.
Und doch oft rein faktisch schon, so leicht scheitert, zumindest aus der „Ruhe zu bringen ist.
Wie der alte Satz es sagt: „unverhofft kommt oft“, oder „es kommt oft anders, als man denkt“.
Und doch ist es so. Das eben nicht alles vorweg geregelt und kontrolliert werden kann, selbst wenn man das will, um ja jeder Spontaneität von Ereignissen zu entgehen.
Nicht nur, dass es manchmal gar nicht anders geht, weil es eben „unverhofft anders“ kommt, wenn man ehrlich ist: auch in Bezug auf die Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bedarf es ja auch des Erprobens, der Herausforderung, des Betretens „noch unbekannten, neuen Gebiets“. Mithin der Kunst der „Improvisation“.
Die Michaela Dietl als Musikerin beherrscht (nachdem sie sich dem Weg der Improvisation mit Arbeit genähert hat, einer gewissen Mühe bedarf es schon, gerade weil es ja zunächst eher dem eigenen Wesen so fremd erscheint) und mit ihren Gedanken im Buch kongenial, verständlich, überzeugend und, vor allem Mut machend, auf das „wahre Leben“ überträgt.
Und wäre es nicht leicht, es morgens mal, auch wenn es ungewohnt ist, mit einer musikalischen Improvisation zum Start in den Tag zu probieren? Ein bisschen Summen, Singen, Geräusche machen, schauen, zu welcher Melodie das führt (und es wird eine Melodie entstehen).
Gut, es benötigt Übung. Aber gar nicht musikalisch oder mit Noten, sondern eine Übung mit sich selbst, sich zu trauen, das Innere frei laufen zu lassen und in Geräusche umzuwandeln.
„Ich lasse alle Gefühle zu, tauche ein in den Moment, beobachte, wo ich mich kontrollieren will, suche die Konfrontation (mit den eigenen Gefühlen und Widerständen)“.
Was dann das Leben in vielfacher Hinsicht emotional erleichtert, die Ängste nach hinten schieben kann und gar größeres Selbstvertrauen entfaltet, auch mit überraschenden Momenten kreativen und guten Umgang finden zu können.
Wobei keiner der Schritte, von denen Dietl eng biographisch erzählt, überfordert.
Auch wenn die eigene Biographie dabei recht griffig vermittelt, was Dietl meint, ist es am Ende deutlich zu sehr auf persönliche Anekdoten hin angelegt. Ein allgemeinerer Ton und eine klarer wirkende Übertragung der vielen Musiker-Beispiele auf die Lebenswelt des Lesers, einige „Etüden“ sozusagen, hätten dem Werk gut zu Gesicht gestanden und werden teils schmerzlich vermisst.
So verbleibt vieles einfach zu persönlich bei der Autorin und wirkt damit für die Breite der Leser belanglos, die Übertragung der persönlichen Erfahrungen auf das Lebend es Lesers kommt zu kurz.
Der Leser ist daher zu sehr alleingelassen und gefordert, die allgemeinen Schlüsse für das eigene Leben zu ziehen, was insgesamt etwas einfacher gegangen wäre.
Aber dennoch, es lohnt sich, den Kerngedanken Dietls zu folgen: Die Kontrolle lernen, stück für stück zu lockern, vielleicht in Momenten gar aufzugeben und eine Frage am Ende aufwirft, die für jeden Leser eine persönliche Antwort anfragt:
„Ich war gespannt darauf, was ich selbst wagen würde, um das Leben mehr zu spüren“.
Eine einfache Melodie nehmen und dann zunächst nur leicht variieren, sich erproben, mutiger werden, bis hin zu später ausgeweiteten, freieren Improvisationen. Was sich ohne Verbiegungen eins zu eins auf das „normale Leben“ übertragen lassen würde. Es müsste nur stetig und mit Geduld geübt werden.
Wozu dieses Werk durchaus motiviert. Ob nicht das „freie Spiel“ der eigenen Kräfte mehr zu sich selbst führt auf Dauer, als dass man alles in Abläufe, Gewohnheiten, Regeln und „Sicherungen“ versucht, zu verpacken.