Rezension zu "Briefe aus dem Gefängnis" von Michail Chodorkowski
Aus erster Hand
Er war nicht nur der einst reichste Mann Russlands, nicht nur die personifizierte Opposition späterhin gegen Putin. Er ist in Person auch ein aktuelles Mahnmal für Menschenrechte , Zensur und allgemein dafür, wie die Obrigkeit (nicht nur) in einem wirtschaftlich aufstrebenden Land wie Russland immer noch in jahrhundertealten, zentralistischen und feudalistischen Strukturen verbleibt.
Für die Berichterstattung zu anderen Ländern hin verbleibt oft nur der Blick auf den fast hermetisch abgeriegelten Gefangenen, der meist still das nächste Urteil, die nächste Verlängerung seiner Inhaftierung entgegen nimmt. In Prozessen, die durchaus als „Schauprozesse“ alter Manier bezeichnet werden können. Mit Rechtsprechung hat das nun wirklich nichts mehr zu tun.
In diesem Buch spricht er selbst und gibt einen umfassenden Einblick in seine Haltung und sein Denken. Eine Haltung, die sich im Lauf der Jahre, die er in „Ungnade“ gefallen ist, stark verändert hat. Vom einstigen Vorzeigekapitalisten und im Reichtum gerne schwelgenden Ölmogul hin zum reflektierten und, vor allem, prinzipientreuen Idealisten, der alle Möglichkeiten, sich durch Flucht der drohenden Verhaftung zu entziehen, hat verstreichen lassen.
Das fast zu Anfang im Buch stehende Schlussplädoyer Chordokowskis aus seinem letzten Prozess 2010 trägt ins ich bereits die Essenz des Verfahrens und der Prinzipien, auch des Denkens Chodorkowskis. Ebenso wird deutlich, wie unvorstellbar der letztlich „rechtsfreie“ Umgang mit seiner Person selbst ihm vor 2003 erschienen sein muss. Ein Blick aus dem Gefängnis heraus auch auf die vielen vergeben Chancen der sich wandelnden Gesellschaft in Russland. Stagnation statt Entwicklung, Chodorkowski legt den Finger in eine offene Wunde, „obwohl die Hoffnung noch lebendig ist“, wie er sagt.. Sagt mit Pathos, den man ihm ob seiner Lebensgeschichte abnimmt. „Wenn es sein muss, werde ich nicht schwanken. Meine Überzeugung ist mir mein Leben wert. Ich meine, das bewiesen zu haben“.
Sicher spielt in den vielfachen Briefen der Prozess immer eine tragende Rolle In allen Einlassungen aber zeichnet sich das Bild eines Mannes „mit Ideen“ ab. Einer, der gestalten will, der die Freiheit auch der gesellschaftlichen Entwicklung sucht, dem das freie Unternehmertum die Grundlage für eine sich sozialisierende Gesellschaft ist. Eine Gesellschaft, die unter dem Druck der politisch-polizeilichen Führung gehalten wird.
Daneben wird in den Eigenaussagen auch der innere Weg hintergründig deutlich. Zu Zeiten war Chodorkowski ein ebenfalls skrupelloser Konzernlenker, dem (fast) jedes Mittel zum Aufstieg recht war, der vor allem die Korruption im Lande für sich zu nutzen verstand. Doch nicht erst im Gefängnis hat er eine Wandlung vollzogen. Schon als Konzernlenker hat er sich selber „modernisiert“ und die soziale Komponente deutlich mit in den Vordergrund gestellt, sich vor allem gegen jene Korruption von da an eindeutig positioniert.
Das Buch ergibt ein differenziertes und belastbares Bild des Mannes Chodorkowski ebenso, wie es einen blick auf die Entwicklung Russlands in der jüngeren Vergangenheit wirft. Neben dem persönlichen Schicksal schwingt in den Aussagen Chodorkowskis das Schicksal eines ganzen Landes mit und das alles ist hochinteressant und spannend zu lesen.