Dieses Buch ist ein bewegendes Porträt der wichtigsten Frau im Leben eines Mannes, seiner Mutter. Voller Liebe und Bewunderung und zugleich voller von Zerrissenheit gezeichneter Abstoßung zeichnet Michel Bergmann die Gründe und Abgründe der komplexen und schwierigen Beziehung zu seiner Mutter.
Charlotte wird 1916 geboren und wächst als Jüdin in Deutschland auf. Aufgrund der politischen Umstände muss sie auf ihre schulische Laufbahn verzichten und flieht nach Frankreich. Während des Zweiten Weltkriegs verliert sie fast ihre gesamte Familie im Holocaust. Ihren Sohn Michel bringt sie 1945 in einem Flüchtlingslager in der Schweiz zur Welt. Gemeinsam ziehen sie nach dem Krieg nach Frankfurt, wo sie ein neues Leben beginnt und später wieder heiratet.
Michel beschreibt seine Mutter mit zahlreichen Adjektiven, die ihre kühle, fordernde Art und ihre ambivalente Liebe zu ihrem Sohn umschreiben. „Sie liebt mich, so wie sie zu lieben vermag, besitzergreifend, mit aller Besessenheit und allen Einschränkungen, daran habe ich keinen Zweifel.“ Er schildert Szenen wie diese in all ihrer Toxizität: „Während sie auf mich einredet, mich kleinmacht und mir tonnenweise Schild auflädt, grüßt sie lächelnd nach links und rechts und beschwört mich, gefälligst ein freundliches Gesicht zu machen, ihr zuliebe. Irgendwann ist die Beschimpfung jäh zu Ende und auch ich habe umgehend zu schweigen. Sie bestimmt es. Jetzt muss es fröhlich werden an unserem Tisch.“ Und zugleich gelingt es dem Autor seine Bewunderung für seine Mutter zum Ausdruck zu bringen, wie sie aussieht, wie sie sich durchsetzt, wie sie kämpft, wie sie sich kleidet, wie sie raucht, ihr Habitus.
In der Summe entsteht in mir beim Lesen ein Verständnis für diese Frau und ihr Leben, für dessen Tragik zwischen historischen Ereignissen und den Mühlen der Zeit gefangen. Ich leide bei den psychischen Wirkungen auf Seiten des Sohnes mit und gerate während der Lektüre selbst in einen Strudel aus Anziehung und Abstoßung.
Der Roman ist dicht erzählt, voller Fakten und Wendungen, so dass man sich wundert, was alles in ein Leben passt. Die Erzählweise ist flüssig und lässt das Buch in einem Rutsch lesen. Süchtig machend, aber wirklich kein einfaches Buch.