Cover des Buches Elementarteilchen (ISBN: 9783499242557)
Rezension zu Elementarteilchen von Michel Houellebecq

Sex, Philosophie und Tragik

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 11 Jahren

Kurzmeinung: Grandios und verstörend.

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 11 Jahren
Michel Houellebecq gehört zu Frankreichs größten Schriftstellern der Gegenwart und wie bei vielen seiner Kollegen auch kann man davon ausgehen, dass seine Bücher viel besprochen werden, aber weniger gelesen. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass auf der Rückseite der Ausgabe in schwarzen fetten Buchstaben der Aufruf "Hören Sie auf, darüber zu reden. Lesen sie es!" steht. Elementarteilchen ist skandalöser Roman, voller Sex und menschlicher Abgründe, aber eben auch eine präzise Analyse der gesellschaftlichen Situation.

Der Aufruf auf der Rückseite ist wahrscheinlich berechtigt; ich kenne kaum jemanden, der das Buch tatsächlich gelesen hat. Viele kennen aber den Titel oder haben die deutsche Verfilmung mit Christian Ulmen und Moritz Bleibtreu gesehen. Diese hat allerdings bei genauerer Betrachtung nicht wirklich viel mit dem Roman zu tun, in dem die Sachlage noch einmal wesentlich tragischer ist. Geschrieben ist Elementarteilchen als ein Nachruf aus der Vergangenheit auf den Wissenschaftler Michel Djerzinski, der der Welt einen großen Dienst erwiesen hat. Houellebecq kontrastiert drastisch zwischen den Lebensgeschichten der zwei Brüder: Michels Umgebung ist klinisch rein, sie lässt keine Unordnung und auch kein Chaos zu. Sein Sozialleben ist geordnet, übersichtlich und von einer inneren Distanz geprägt, die schnell an eine Form des Autismus denken lässt. Brunos Welt dagegen ist von Frauen und Sex geprägt. Immer auf der Suche nach der nächsten Nummer driftet er durch die Welt, verliert dabei seine eigene Familie und findet zumindest für eine Weile die Liebe. Es scheint, als ob diese Passagen des Buches nur aus nackten Körpern und hedonistischem Lebensgefühl bestehen. Über allem steht wie es scheint die Erzählinstanz, die als Kommentator und Kritiker der Geschehens fungiert und immer wieder nach Erklärungen für das Handeln der Figuren sucht. Mal hat sie selbst eine Stimme, mal lässt sie die Figuren sprechen, besonders dann, wenn der Naturwissenschaftler Michel und der Geisteswissenschaftler Bruno bei ihren seltenen Treffen diskutiert.

In einer Gesellschaft, in der jugendliches Aussehen und sexuelle Leistungsfähigkeit Faktoren des sozialen Stands werden, in der immer mehr Menschen in esoterischen Lehren nach einem Mysterium suchen, mit dem sie ihr Leben füllen können, entwickelt der Wissenschaftler Djerzinski eine Methode, mit dem zumindest der Körper ewig leben kann. Reproduktion ohne Sex. Die Erschaffung eines neuen Menschen "im Bilde des Menschen" soll zu einer kulturellen Revolution führen und den Verfall der metaphysischen Werte, der sich seit der 68er Revolution stark beschleunigt hat, beenden.

Elementarteilchen macht einen ganz schwindelig, denn Michel Houellebecq zieht eine ganze Reihe philosophischer Konzepte zur Konstruktion seiner Hypothesen heran. Dieses Buch kann und muss man mehrfach lesen. Vieles von dem, was der Autor hier vertritt, eröffnet sich dem Leser erst in einem zweiten Leseprozess. "Hören Sie auf, darüber zu reden. Lesen Sie es!"
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