Cover des Buches Karte und Gebiet (ISBN: 9783832161866)
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Rezension zu Karte und Gebiet von Michel Houellebecq

Vielschichtig, aber nicht leicht zu fassen

von rumble-bee vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Puh, ein nicht ganz leichter Brocken. Der ehemalige Skandal-Autor ist zahm geworden! Sicher nicht leicht zu lesen, aber lohnenswert allemal.

Rezension

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rumble-beevor 9 Jahren
Ich habe das Buch zugeklappt und mich erst einmal benommen gefragt - war das jetzt wirklich ein Houellebecq? Der ehemalige Skandal-Autor, den man kaum lesen konnte, ohne rote Ohren zu bekommen? Und vor allem - was für eine Art Buch war das jetzt eigentlich? Auf beide Fragen habe ich keine letztlich befriedigende Antwort gefunden. Dennoch kann ich nicht umhin, als in letzter Konsequenz einen "Daumen hoch" zu verleihen.

Dieses Buch hat von allem etwas. Ein Porträt der (nicht nur französischen) Kunst-Szene. Eine Satire der Künstler selbst. Eine ausgedehnte Reflexion über Liebe und Tod, über den Sinn des Lebens. Und eine deprimierende Lebensgeschichte. Dazu noch die üblich lakonische Sprache eines Houellebecq, und schon kann man eigentlich doch sagen - typisch!

Das Buch zerfällt in mehrere Teile, die - grob gesagt - mit den verschiedenen Schaffensperioden des Künstlers Jed Martin zusammenfallen. Anhand seiner Lebensgeschichte, die ich mir ehrlich gesagt kaum trostloser vorstellen kann, erfahren wir, wie er sich die Kunst aneignet. Kunst zu produzieren, wird hier als etwas Zwangsläufiges dargestellt; der Künstler ist ein Spielball seiner Emotionen und seiner Weltsicht. Jed Martin macht zunächst Fotos - erst Gegenstände, dann einfache Menschen und ihre Berufe. In einem dritten Schritt malt er Bilder von berühmten Menschen, und Augenblicken ihres Lebens. Und in seiner letzten Phase dreht er beklemmende Videosequenzen vom Untergang der Menschheit, und der Machtübernahme der Natur...

Doch damit ist das Buch noch lange nicht zu fassen zu bekommen. Denn der dritte Teil (die Phase der Malerei) fällt zusammen mit einer Art Krimi. Michel Houellebecq ist ermordet worden! Ja, genau der! Er kommt in seinem eigenen Roman "in persona" vor. Er hatte sich mit Jed Martin angefreundet, und findet nun ein, äh, beinahe "kunstvolles" Ende. Die Auflösung ist skurril und ein wenig gruselig.

Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Buches ist sicherlich seine Satire. Wie gesagt, Michel Houellebecq hat sich hier selbst aufs Korn genommen. Ich kann mir unschwer vorstellen, wie er sich beim Schreiben genüsslich zurückgelehnt hat, um dem Publikum einige Stereotype zu servieren... Des weiteren behandelt er auch seine - angebliche - Bekanntschaft und Freundschaft mit Frédéric Beigbeder, ebenfalls ein Skandal-Autor der aktuellen französischen Landschaft. Auch viele Künstler kommen vor, wobei ich aber nicht immer folgen konnte. Hier müsste man vermutlich Franzose sein.

Das Buch hat mich in Teilen auch verstört. Zum einen durch den arg lakonischen Ton, auch dort, wo er durchaus nicht passte. Andererseits durch die andauernde Tendenz, Passagen in Kursivschrift zu setzen. Wollte der Autor damit Gesellschaftskritik üben? Oder wieder einmal dezent verstören und provozieren? Das wird wohl jeder selber beurteilen müssen.

Warum das Buch den Prix Goncourt gewonnen hat, ist mir allerdings nicht ganz ersichtlich. Sicher, es ist hoch komplex, und für einen Houellebecq geradezu unverschämt seriös. Ganz sicher jedoch rüttelt es auf, und führt dem geneigten Leser vor Augen, dass es immer noch möglich ist, ein "erfrischend anderes" Buch zu schreiben.
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