Eines muss man Onfray lassen: Schreiben kann er. Sein Schreibstil war wirklich spannend, teilweise zu spannend, weil ich an einigen Stellen nicht mehr von einer quasi "Nacherzählung der Ereignisse" (Historischer Konsens) und Sachbuch unterscheiden konnte.
Michel Onfray
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Michel Onfray
Wir brauchen keinen Gott
Nietzsche
Anti Freud
Im Namen der Freiheit
Niedergang
Leben und Tod eines Dandys
Neue Rezensionen zu Michel Onfray
Rezension zu "Niedergang" von Michel Onfray
Ernüchternd einerseits, einseitig andererseits
„Nicht Kulturen bringen Religionen hervor, sondern Religionen sind der Ursprung der Kulturen“.
Eher lapidar am Rande dahingesagt, nicht mit Fußnoten versehen (wie im gesamten Buch, zum Ende hin gibt Onfray einen Überblick über seine Quellen), setzt Onfray mit diesem Satz einen der Eckpfeiler seiner Darstellung, die dystopisch vom „Niedergang der christlich-jüdischen“ Kultur (samt deren Gründung und „Hoch-Zeit“) erzählt, von der bevorstehenden „Übernahme der kulturellen Vorherrschaft in Europa durch den Islam“ und, noch weiter in die Zukunft geschaut, von der Abschaffung des Menschen durch einen „Transhumanismus“.
Kritsch sei dabei grundlegend bemerkt, dass ob der fehlenden Literaturverweise im Text des Buches selbst und ob der teils stark subjektiv eingefärbten Sprache, der Vereinfachung mancher Sachverhalte und des zudem nicht selten offen Ressentiment-geladenen Tonfalls ein gewisser Abstand bei der Lektüre eingehalten werden sollte.
Eher „Meinung“ denn klare, wissenschaftlich gekennzeichnete „Geschichtsphilosophie“ ist es, die Onfray in diesem Werk vorlegt. Im Übrigen natürlich nicht, ohne vorweg zu schicken, warum das Christentum an sich eine künstliche Schöpfung um ein „Konzept“ herum darstellt (Jesus als Person lebte nie). Auch wenn man (hier oder an anderen Orten) der Argumentation Onfrays folgen sollte, so wäre doch deutlich mehr Differenzierung wünschenswert gewesen.
Getreu nach Darwin setzt dagegen Onfray, Atheist und Verächter der „Psychoanalyse“ und aller „Anbiederungen an den Zeitgeist“, sowie kopfschüttelnder Kritiker des „Nihilismus“ und konkreter Kunstformen des 20. Jahrhunderts, seine Linie des „Vitalismus“ als roten Faden durch das Werk.
Alles, was lebt, Individuen und Kulturen, folgt dem gleichen Muster von Werden und Vergehen.
Geboren werden, aufwachsen, Kraft sammeln, sich seinen Teil Welt aneignen.
Dann „mächtig“ sein, das direkte Umfeld (und, im Falle von Hochkulturen, größere Teile der Welt an sich ) beeinflussen (bei Onfray im Übrigen immer durch Macht, Gewalt, Härte, durch „das Schwert“ (nicht „das Jesus-Konzept“, sondern Paulus haben die christliche Kultur des Abendlandes durchgesetzt), was im Gefolge dann „Denker, Professoren, Künstler“ nach sich zieht.
Am Ende dann Schwäche, Niedergang, Rückzugsgefechte und auf existenzielle Fragen nur mit „kultureller und glaubensschwacher“ Leere antwortend und damit untergehend.
Stringent verfolgt Onfray diese Linie, ohne Links und Rechts Blickrichtungen dem Leser zu ermöglichen.
Wie er dabei das zweite vatikanische Konzil als einen „inneren Offenbarungseid“ des Katholizismus beschreibt, das ist schon mit Interesse zu lesen, dass Onfray als erklärter Atheist sich mokiert über die zu große „Nähe zu Gott“, der nun geduzt und nicht mehr gesiezt werden soll.
Wenn er zudem lapidar feststellt, dass die militärische Macht Europas nicht mehr existiert und eben niemand bei klarem Verstand „sein Leben für ein I-Phone“ opfern würde (im Gegensatz zur begeisterten Opferung des eigenen Lebens für religiöse Ideen), dann scheint an diesen und vielen anderen Stellen im Werk deutlich heraus, wie sehr Onfray die Moderne, den „schwachen Menschen“ und die kraftlosen „Gläubigen“ verachtet.
Doch sollte man nicht zu schnell das Tuch über dem Werk zerreißen.
Bei aller Angreifbarkeit in Darstellung und vielfach einseitigen, harschen Meinungen (der Islam gewinnt, weil er einfach mehr Nachkommen generiert und will die Scharia und sonst nichts), Onfray gelingt es durchaus, dem Leser Stoff zum Nachdenken zu bieten.
Mit seinen klaren Verweisen, dass es immer „Oligarchie“ ist, die das weltweite Geschehen bestimmt, mit seinen Beispielen, wie schnell aus „überzeugten Kommunisten“ ebenfalls „überzeugte Markt-Radikalisten“ wurden. Oder indem er aufzeigt, dass „Kapitalismus“ keine „Religion durch Karl Marx ist“, sondern immer schon das Leben der Kulturen bestimmt hat.
Und wenn er, das muss man schon sinken lassen und eine Antwort darauf finden, die Reaktionen der westlichen, vor allem europäischen, Demokratien auf die (immer noch geltende) „Fatwa“ gegen Salman Rushdie und die Reaktionen auf den Anschlag bei Charlie Hebdo zutiefst abwertend anklagt.
Gerade im Blick auf Rushdie ist es tatsächlich die Frage, warum Botschafter nicht abgezogen, Sanktionen nicht eingeleitet, ein klarer Bruch zum „religiösen Regime“ in Isfahan nicht vollzogen wurde. Denn einen Autor unter weltweites Todesurteil zu stellen und, am Ende, bis heute, damit durchzukommen, dass ist schon eine Anfrage an die „Verteidiger der Werte der Freiheit“ wert.
Und das ist nicht die einzige Frage, die Onfray zu Recht, wenn auch in Form und Stil stark kritisierbar, dem Leser auf den Weg wirft.
Eine subjektive, hart wertende Darstellung, wie das Christentum „Weltreligion“ wurde (mit Gewalt), sich an der Macht hielt (mit Gewalt), die Welt heutzutage „kuscht“ (vor Gewalt und markigen Worten), dass vielleicht tatsächlich der christlichen Welt die „alten mosaischen Gesetze“ der patriarchalischen Kultur wieder an vielen, vielen Orten wieder „übergestülpt“ werden, dass der „Konsumismus“ als Religion nicht taugt und dass der Islamismus nicht im Fanatismus an sich, sondern durchaus in einer bestimmten Lesart des Korans verwurzelt.
Ein Werk, dass differenziert betrachtet werden sollte, nicht einfach in seinen Thesen übernommen werden kann, aber vielfache Informationen als „Gesamtschau“ enthält mit Folgerungen, die nicht einfach pauschal von der Hand zu weisen sind.
Rezension zu "Leben und Tod eines Dandys" von Michel Onfray
Biographische Bewertung eines „Standes“
„Der Dandy bewegte sich an zwei entgegengesetzten Polen zugleich: zum einen kämpfte er einen brutalen…..Krieg….. Zum anderen zeigte er großes Talent für alles Zerbrechliche, Sanfte…“ (soweit es ihn interessiert für seine eigenen Zwecke).
So formuliert es Onfray auf der Grundlage eines Buches von von Clauswitz, „Vom Kriege“, in dem von Clausewitz den „Dandy“ im Krieg näher beleuchtet als einen Einzelkämpfer, der nur für sich alleine kämpft mit seinen Interessen als einzigen Kriegsgründen.
Auch wenn hier nur die Facette des „Dandy im Krieg“ angeführt wird, eine grundsätzliche Wertung findet sich natürlich in dieser Kennzeichnung als reiner und kühler „Egoist“.
Eigenschaften, welche die Figur, der Onfray in diesem schmalen Werk nachgeht, durchaus extrem in sich vereinigt. Rein auf sich bezogen, so erschien George Bryan Brummel, Urgestalt, Inbegriff und „erster Dandy“ überhaupt seiner Umwelt.
Ein Snob, arrogant, überheblich, verletzend, kein anderes Urteil über Geschmack und Leben akzeptierend als sein eigenes und dies mit seinem gesamten Lebensstil ausdrückend.
Sich selbst zu „vergötzen“, dazu gehört auch der entsprechende „Putz“, die ausgewählte Kleidung. Gerade aber ausgesuchte Manieren eben nicht, denn diese wären ja als Kompromiss, als Anbiederung zu verstehen.
In diesen „Manieren“ allerdings unterscheidet sich Brummel doch wesentlich von seinen „Nachfolgern“. Individualität statt Egoismus, beste Manieren in Stil, Kleidung und ästhetischem Geschmack statt Rohheit des Volkes, so stellt sich der Dandy in späteren Zeiten den Augen der Öffentlichkeit dar.
Onfray wählt nun diese spannungsreiche Person Brummel (dessen Leben auch späterhin in Extremen verlief), um sich einigermaßen grundsätzlich der Struktur der nihilistischen Persönlichkeit zu nähern und selbstverständlich, auch wenn Onfray das kaum direkt anspricht oder ausspricht, hält der damit der Gegenwart einen Spiegel seiner Bewertung vor.
Eine, folgt man dem Buch, überaus negative Bewertung, denn kaum ein positives Element lässt Onfray an Brummel und damit auch keines an der nachfolgenden „Bewegung“.
Ein schöngeredeter Mythos einer innerlich hässlichen Person, das bleibt, folgt man Onfray in seiner Offenlegung des Inneren dieses ersten Dandys.
Dem auch der Untergang Brummels fast logisch sich anschließt, den Onfray breit schildert. Schein und Sein versucht er somit, gegenüber zu stellen und die „wahre Natur“ des „Angebers“ zeigt sich letztlich in seinem schmählichen Scheitern im und am Leben.
All dies basiert auf dem ersten (deutlich positiverem) Portrait Brummels von Jules Barbey, dem Onfray im weiteren Verlauf des Buches ebenfalls „Dandy- Allüren“ und mangeldne Distanz zu Brummel attestiert und entsprechend zu einer ähnlichen Bewertung des Autors gelangt, wie er sie für Brummel selbst vornimmt.
So liest der Leser einen „Verriss“ des Dandytums an sich auf der einen Seite, aber auch, zum Ende des Buches hin, fast versöhnliche Anklänge an ein, könnte man sagen, „recht verstandenes Dandytum“ im Sinne Onfrays. Das bei Brummel und den direkten Nachfolgern nun nicht zu erleben war, das aber in den behaupteten Kernidealen doch Möglichkeiten in sich bergen könnte. Könnte man zumindest in Nebensätzen herauslesen.
Alles in allem eine sehr parteiische Darstellung Brummels, die wie ein „Verriss eines Lebens“ daherkommt, eine darüber hinausgehende Absage an den Nihilismus und die Egozentrik der „Dandy-Bewegung“, ein Spiegel des gegenwärtigen „ständigen Drehens um sich selbst“, aber auch mit kleinen Verweisen auf Haltungen eines „Dandys“ versehen, die konstruktive Möglichkeiten bieten könnten.
Das alle sin sehr lebendiger, klarer, direkter Sprache, mit Hybris geschrieben, trotz des knappen Raumes im Buch hier und da auch langatmig, dennoch aber durchaus informativ. Was das Dandytum an sich angeht, was daran in die Gegenwart wirkt und was, vielleicht, eine konstruktive Kraft sein könnte.
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