Cover des Buches Accabadora (ISBN: 9783803132260)
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Rezension zu Accabadora von Michela Murgia

Rezension zu "Accabadora" von Michela Murgia

von Ailis vor 13 Jahren

Rezension

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Ailisvor 13 Jahren
"Accabadora" ist der Debütroman Michela Murgias und in ihrer Geschichte entführt sie uns ins Sardinien der 50er Jahre, in dem die Moderne auf die Gepflogenheiten und Gewohnheiten der alten Zeit trifft und man noch nicht sicher sein kann, wer von beiden diesen Kampf gewinnen wird. Die alten Zeiten, das sind die, in denen neben dem christlichen Glauben noch eine Menge abergläubischer Rituale und Traditionen bestehen, die das Leben des einfachen Volkes bestimmen. So ist es beispielsweise nicht ungewöhnlich, dass ein böser Zauber benutzt wird, um dem heimlichen Versetzen einer Grenzmauer Erfolg angedeihen zu lassen. Aber auch andere Dinge sind Bestandteile dieser alten Zeit, und so kann es sein, dass eine Frau noch Mutter wird, die diesen Wunsch schon längst in sich begraben geglaubt hat. Bonaria Urrai ist eine solche Frau und Maria Listru ist die Tochter, die sie sich immer gewünscht hat. Maria ist eine fill'e anima, eine Tochter des Herzens. Als viertes Kind einer armen Witwe ist sie alles andere als gewollt und wird von der Mutter mehr als Last denn als Segen betrachtet, weswegen Bonaria Urrai sie als Tochter zu sich nimmt und sich um sie kümmert. "Fillus de anima, Kinder des Herzens. So nennt man die Kinder, die zweimal geboren werden, aus der Armut einer Frau und der Unfruchtbarkeit einer anderen." Maria fühlt sich wohl bei Bonaria, die sie mit liebevoller Härte erzieht, und ihre Familie vermisst sie nicht. Die beiden scheint nichts trennen zu können, zu gut geht es ihnen mit diesem Arrangement einer unproblematischen Adoption, bis zu dem einen schicksalhaften Tag, an dem eine fast schon erwachsene Maria erkennen muss, dass ihre geliebte Tzia Bonaria nicht nur die Schneiderin ist, für die sie sie gehalten hat... Ich halte mich an dieser Stelle zurück, da dieses wunderbare Büchlein nur 170 Seiten umfasst und man schon reichlich früh in Gefahr gerät, zu viel von dieser ungewöhnlichen Mutter-Tochter-Geschichte zu verraten. Nur so viel sei gesagt: das titelgebende Wort Accabadora steht für jene Frauen, die Menschen in Agonie, also einem langanhaltenden Todeskampf, in früheren Zeiten zum Tode verhalfen, nachdem sie vom Sterbenden selbst und seiner Familie um diesen Akt der Gnade gebeten worden waren. Bonaria und Maria, das sind zwei Menschen, die auf den ersten Blick ähnlich pragmatisch zu sein scheinen, auf den zweiten jedoch durch einen breiten Graben getrennt werden, der entstanden ist durch unterschiedliche Moralvorstellungen. Maria, die für ein Mädchen der damaligen Zeit schon ungewöhnlich lang die Schule besucht hat, wird zu einer jungen Frau, die von vielen Traditionen der alten Zeit nichts weiß und auch nichts hält. Bonaria hingegen lebt mit und für diese Rituale, die sie der Tochter jedoch in einer dunklen Vorahnung verbirgt. Und so kommt es, wie es kommen muss! Doch aus jungen und ungestümen Mädchen, die an ihren Prinzipien festhalten, werden manchmal Frauen, die an dem reifen müssen, was ihnen widerfährt - so auch Maria. Sprachlich ist dieser Roman ein Genuss: Murgia hüllt die Geschichte der beiden Frauen in eine kraftvolle, aber auch melancholische Sprache, die nie mehr sagt, als nötig ist. Ein wunderbares Buch, das ich einfach nur jedem ans Herz legen kann!
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