Was den Holocaust angeht, haben wir inzwischen Literatur der 2. und teilweise schon 3. Generation, die sich mit dem damaligen Geschehen befasst. Die Armenier haben ihren eigenen Genozid erlebt und sind in Folge dessen in alle Welt zerstreut worden. Es gab außer einiger Literatur von Überlebenden bzw. Augenzeugen anderer Nationalitäten lange Jahrzehnte kaum Literatur, die sich mit diesem Genozid befasst hätte. Nun ändert sich das langsam aber offensichtlich.
2005 erschien der Roman »Das Haus der Lerchen« der Armenierin Antonia Arslan, die dafür Erinnerungen von Angehörigen ihrer eigenen Familie zugrunde legte. Schon 2002 erschien der Roman »Drei Äpfel fielen vom Himmel« der Armenierin Micheline Aharonian Marcom.
Micheline Aharonian Marcom selbst gehört der Enkelgeneration an, ist bereits im Exil geboren und aufgewachsen. Trotzdem gelingt es ihr in diesem Roman auf besondere Weise den Genozid an den Armeniern literarisch aufzugreifen und zu verarbeiten. Der Titel des Buches »Drei Äpfel fielen vom Himmel« ist die Übersetzung einer üblichen Märchenformel aus dem Türkischen bzw. Armenischen und mit Elementen der Märchenerzählung umhüllt sie die grausigen Vorkommnisse, was zweierlei Effekt hervorruft. Zum einen wird das Grausame so ein wenig erträglicher zu lesen, zum anderen prägen sich die Personen und Geschichten besonders tief ein. Märchen erreichen uns auf einer tieferen emotionalen Ebene und genau das geschieht auch mit diesem Buch.
Es ist wieder einmal erschreckend zu sehen, was für tiefe Spuren die damaligen Erlebnisse bei den Nachkommen der Überlebenden hinterlassen haben. Micheline Aharonian Marcom kann das, was sie beschreibt nur von Dritten wissen, beschreibt aber alles so intensiv als hätte sie selbst es erlitten.
»Drei Äpfel fielen vom Himmel« ist ein erschütterndes und fesselndes Zeitzeugnis, dem ich aufmerksame Leser wünsche.
2004 hat Marcom ihren zweiten Roman »The Daydreaming Boy« veröffentlicht und schreibt zur Zeit an einem dritten Roman, der dann die Trilogie abschließen soll. Bleibt zu hoffen, dass Bertelsmann auch diese beiden Romane noch übersetzen und veröffentlicht lässt und so den deutschsprachigen Lesern zugänglich macht.