Cover des Buches Sinuhe, der Ägypter (ISBN: 9783905414653)
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Rezension zu Sinuhe, der Ägypter von Mika Waltari

Rezension zu "Sinuhe, der Ägypter" von Mika Waltari

von sabisteb vor 13 Jahren

Rezension

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sabistebvor 13 Jahren
Ägypten im 14. Jhdt. v. Chr. Sinuhe ist ein Findelkind (ähnlich wie der biblische Mose) und wächst als Adoptivsohn des Armenarztes Senmut und seiner etwas einfältigen Frau Kipa am Rande des Armenviertels von Theben auf. Wie sein Vater erlernt auch Sinuhe den Beruf des Arztes im Haus des Lebens, aber schon bald muss er erkennen, dass er mit seinem erlernten Wissen schnall an Grenzen kommt. Die Frage Warum? wird von seinen Ausbildern nicht gerne gehört und Sinuhes kritisches Denken beschert ihm keine Freunde. Durch ein selbst herbeigeführtes Unglück dazu gezwungen Ägypten zu verlassen, bereist Sinuhe die damals bekannten Länder und vervollkommnet sein medizinisches Wissen und wird so zu einem wertvollen Spion für Haremhab, den General des Pharao Echnaton. Die Lebensgeschichte des Sinuhes ist das berühmteste Epos des Alten Ägyptens, das in vielen Papyri erhalten blieb, wohl weil die Geschichte damals so beliebt war. Die vollständigste Ausgabe der Geschichte ist wohl im Besitz des Berliner Ägyptischen Museums. Diese antike Vorlage, aus der Mika Walthari seine Inspiration bezog stammt aus der 12. Dynastie des Mittleren Reichs (ca. 1900 v. Chr.) und erzählt die Lebensgeschichte des Hofbeamten Sinuhe, der nach dem Tod des Pharao Amenemhet I von Panik überwältigt das Land verlässt um in Palästina sesshaft zu werden und im hohen Alter, von Heimweh geplagt, nach Hause zurück kehrt. Viel haben die ursprüngliche ägyptische Erzählung und der 1945 von Mika Walthari veröffentlichte Roman jedoch nicht gemein. Zum einen spielt der Roman in der Zeit Echnatons (18. Dynastie) zum anderen ist der historische Sinuhe kein Arzt, sondern Feldherr. Dieser historischer Roman ist, wie ein historischer Roman eigentlich sein sollte: gut und solide recherchiert und zeitlos sozialkritisch. Dabei jedoch gleichzeitig unterhaltsam und poetisch. Besonders die sozialkritischen Aspekte dieses Romans sind außerordentlich zeitlos gelungen. Während man zur Zeit des Erscheinens des Romans bei Konig Suppiluliuma Charakterzüge Hitlers erkennen konnte, fallen dem heutigen Leser vor allem die Kritik am Kapitalismus und die sozialistischen Züge der Regierung Echnatons auf. Stellen wie "Besonders das Volk, das wie eine Viehherde vor dem Tempel brüllte, aus seinen Erfahrungen nichts gelernt hatte und ebenso töricht und einfältig war wie zuvor" erinnern stark an Marx, während sich die Ammonpriester verhalten wie die Kirche (im Mittelalter), die ihre Gläubigen als Streitwagenfutter verheizt. Der Klerus strebte schon immer nach Macht und opfert dafür die gläubigen Schafe, damals und heute. Auch "wie einer, der alles versucht hat und jeder Kost überdrüssig geworden ist, behauptet, angefaultes Fleich, sei die köstlichste Nahrung" erinnert stark an das verschimmelte Steak (Dry-Aged: Verschimmeltes Fleisch als Delikatesse), das in USA gerade recht beliebt sein soll. Auch wie Aziru die Bürokratie für sich arbeiten lässt ist einfach zeitlos "Ich habe mit Freuden sowohl Papier als auch Lehmtafeln zur Aufklärung der Angelegenheit vollgekritzelt und ebenso zahlreiche Lehmtafeln darüber erhalten, die ich sorgfältig nummeriert aufbewahre, um unter Hinweis darauf neue Lehmtafeln vollschreiben zu können, bis ich mir schließlich eine Schutzmauer aus lauter Lehmtafeln aufführen kann." Die Charakterisierung der Protagonisten ist außerordentlich gut gelungen. Sinuhe ist ein pessimistischer Realist, der seine Umgebung treffend analysiert und beschreibt. Sein zentrales Anliegen ist die Wahrheitsfindung, etwas woran er scheitern muss und auch heute immer noch scheitern würde. Denn noch heute gilt "mit Güte erreicht der Mensch nichts, das einzige, was in der Welt etwas zu bedeuten hat, ist Macht", schon Teje ist eine Anhängerin des Machiavellismus, die der Meinung ist "Schließlich gibt es keine guten oder bösen Taten, sondern gut ist, was gelingt und böse, was mißlingt und ruchbar wird." Der Heimliche Held der Geschichte jedoch ist Sinuhes Diener Kaptah, der mit seiner praktischen Veranlagung immer wieder die Situation rettet und auch immer für eine Posse gut ist. Der Schreibstil ist behäbig, fremd und poetisch. Wenn man sich daran gewöhnt hat fesselt die Geschichte sehr bald. Die Erzählweise mit den immer wiederkehrenden stehenden Redewendungen hat etwas poetisch Märchenhaftes und erinnert ein wenig an die Sagen aus dem Altertum bzw. das Alte Testament. Keine "Einleitung in die Kultur- und Sittengeschichte des vorchristlichen Orients, erfüllt von Glanz und Rausch und (heidnischer) Erotik", wie im Vorwort meiner Ausgabe gepriesen sondern ein zeitloser, sozialkritischer historischer Roman, in welchem jede neue Generation etwas aus ihrer aktuellen Lage wiederfinden kann.
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