Roselin ist eine nicht verifizierte Mutantin im neuen Reich nach einem Weltkrieg, der die ganze Erde zerstört hat. Als sich die Führer der Kuppel in der sie lebt gegen die Mutanten, die der Strahlung besonders ausgesetzt sind, entscheiden, flieht Roselin zu den Rebellen und ein Aufruhr nimmt den Anfang.
Die neue dystopische Welt wird am Anfang genau beschrieben und ich kann mir ein gutes Bild von dem neuartigen System machen. Dabei wurde die Zerstörung und die mit eingehenden Konsequenzen super und vor allem natürlich und logisch beschrieben, sodass es eine reale Zukunft vorhersagen könnte. Auch das mit den verschiedenen Gruppen und deren Fähigkeiten kam verständlich rüber. Natürlich sind die Mutanten die „schlechten“ in diesem Roman und das hat man direkt gemerkt, schließlich haben sie nicht die besten Voraussetzungen für ein langes und erfülltes Leben. Auch die Abgrenzungen und Diskriminierung sowie Ablehnungen waren interessant mit anzusehen und mit einer starken Protagonistin gut veranschaulicht. Ganz so verstehe ich den Instinkt der Mutanten nicht und was bzw. wieso das etwas besonderes ist. Auch kann ich die Anspielungen nicht nachvollziehen und warum die einen durch die Strahlung Mutationen nachweisen und die anderen verschont bleiben. Klar, die Erkrankung wird später aufgeklärt, aber dem Rest wurde nicht die nötige Zeit gegeben.
Roselin ist eine interessante Protagonistin, da sie strikt ihr Ziel verfolgt und dafür allerhand durchmacht. Ihre Gefühle konnte ich größtenteils nachempfinden, aber dadurch, dass viel schnell hintereinander passiert ist, hat man nicht viel Zeit, um eine emotionale Bindung einzugehen. Auch gab es außer Trauer, Mut und Vorsicht nicht viel zum verstehen und fühlen und ich hatte oft das Gefühl, dass sie nur für ihren Zwillingsbruder lebt. Aber da es darum geht, fand ich das überhaupt nicht schlimm, auch wenn mir Arjen extrem unsympathisch erscheint. Nur für dieses Ziel ist Roselin so ehrgeizig, aber auch egoistisch und naiv und diese Richtung gefiel mir dann nicht so. Durch diese Schwankungen ist es schwierig, sie einzuschätzen und erst am Ende der wenigen Seiten hat man ein grobes Bild von ihr.
Auch von Kyran kann man sich durch die Kürze des Romans kein gutes Bild machen und ich wusste nicht, wie ich ihn einschätzen soll. Irgendwie habe ich die sarkastischen und auch gemeinen Sticheleien der beiden genossen, aber sehr schnell wird einem klar, dass Kyran irgendwas im Schilde führt, was Am Ende auch in einem abrupten Plottwist enthüllt wird. Ich konnte den Mann nie so richtig leiden, was vor allem an der Abneigung von ihm gegen Roselin und gegen den Führer der Rebellin liegt. Immerhin gab es keine Liebesgeschichte, welche bei vielen Dystopien mit Revolutions- und Aufstandsthemen eine große Rolle spielt. Dieses Mal ging es ganz um geschwisterliche Zuneigung und mehr Gefühle kamen nicht ins Spiel. Für die anderen Nebencharaktere gab es nicht genügend Raum und Zeit, um ihnen eine Rolle zuordnen und das ist extrem schade, denn großes Potenzial war da und vor allem an den nicht freundlich vorkommenden Rebellen und den Ärzten im Rebellenlager war ich interessiert und hätte mehr über deren Alltag erfahren.
Uns genau das ist das große und einzige Problem des Buches. Es hat eine solide Grundlage und ein spannendes Thema, welches aber so rasant durchgesetzt wurde, dass man gar nicht mitkommt. So großes Potenzial, vor allem in den Gruppen und den Rebellen sowie speziell den Mutanten, und das meiste wurde nicht beachtet und übersprungen. Ich hätte den Roman mit Sicherheit auch gelesen, wenn er 150 bis 200 Seiten mehr geboten hätte und damit würde man die Charaktere näher kennen lernen und Nähe zu ihnen aufbauen können. Außerdem wäre die Spannung durch größere Kampfhandlungen und Erläuterung der Strategien erhöht worden, denn die meiste Zeit ging es entweder um Arjen oder um noch nicht verheilte Verletzungen. Die restliche Verarbeitungen und der Schreibstil sind aber super und ich habe das Buch direkt durchgelesen.
Das Ende kam unvorhergesehen und überraschend, aber es toppt das vorherige Geschehen bei weitem. Man hat nichts davon erwartet und offene Fragen wurden beantwortet. Dennoch wurden neue Fragen aufgeworfen und es endet mit einem miesen Cliffhanger, von dem man nicht weiß, ob das wirklich das Ende des Buches ist oder ob es eine Fortsetzung geben wird. Tatsächlich wäre ein zweiter Band wünschenswert, denn gerade zum Schluss ist man mitten drin in der Story und die Leselust ist auf dem maximalen Level und das darf man nicht verschwenden.
Insgesamt ein lohnenswerter Roman, der einen mit den neuartigen Clans und Regeln sowie der dystopischen Welt neugierig macht, aber zu knapp für eine ordentliche Dystopie ist. Ansonsten aber super ausgearbeitet.