Liebe Minette, vielen Dank für deine Zeit. Dein letzter Roman “Die letzte Stunde” fühlte sich wie eine Reise durch Zeit und Raum an. Es ist beeindruckend, wie authentisch du das südliche England von 1348 zum Leben erwecken kannst. Kannst du uns etwas über den neuen Folgeroman “In der Mitte der Nacht” erzählen?
Ich lebe in einem kleinen Dorf in der Nähe des Ortes, an dem die Pest 1348 nach England gelangte. Das einzige Gebäude aus dieser Zeit, das noch steht, ist die Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Sie ist umgeben von kleinen Erdwällen, welche die ursprüngliche mittelalterliche Siedlung skizzieren. Alle Einwohner starben und wurden in der Nähe der Kirche begraben. Es ist unmöglich inmitten solcher Geschichte zu wohnen, ohne davon zum Schreiben inspiriert zu werden.
Was ist das Besondere am mittelalterlichen England, dass es die perfekte Kulisse für dein Buch darstellt?
Die Pest hat in weniger als zwei Jahren 40 bis 50 Prozent der englischen Bevölkerung getötet. Die höchste Todesrate gab es unter Geistlichen und Leibeigenen und die Gesellschaft hat sich durch die Pest unwiederbringlich geändert. Die Interpretation der katholischen Kirche, die Pest als eine Strafe zu betrachten, wurde hinterfragt und hat zu einem Anstieg des Protestantismus geführt. Die Leibeigenschaft - eine Form der Sklaverei - fand nach nahezu 300 Jahren ein abruptes Ende. Es hat mir großes Vergnügen bereitet, einige dieser Thematiken für “Die letzte Stunde” und “In der Mitte der Nacht” auszuforschen.
Du verfügst über das Talent, deinen Geschichten den gewissen Nervenkitzel zu verpassen, ohne ihn in einen Thriller zu verwandeln. Was fasziniert dich daran, mit den traditionellen Genre-Grenzen zu brechen?
Ich liebe Herausforderungen! Ich bin eine Geschichtenerzählerin. Meine Ambition ist, meinen Lesern einen Page-Turner zu liefern, unabhängig vom Genre.
Deine Geschichte spielt in Südengland. An welchen Ort in dieser Gegend sollten wir unbedingt einmal reisen und welches Buch sollte uns begleiten?
Die Küste von Dorset ist wunderschön. Wir haben viele Häfen und Hafenstädte - Bournemouth, Poole, Weymouth, Bridport, Lyme Regis - und eine Küstenstraße, die 95 Meilen entlang des Weltkulturerbes Jurassic Cliffs führt. Welches Buch? Irgendetwas von Thomas Hardy!
Mit Lady Anne von Develish gibt es in deinem Buch eine sehr starke Frauenfigur, um die sich die Handlung entwickelt. Was ist das Besondere an ihr? Und wie schwer war es zu jener Zeit, sich als Frau eigenständig zu entwickeln und durchzusetzen?
Lady Anne verfügt über die Bildung und angeborene Intelligenz zu hinterfragen, was ihr erzählt wird - insbesondere von Priestern und Bischöfen. In jener Zeit hat die Kirche das Denken der Menschen kontrolliert, auch von Männern, und es brauchte viel Mut, um laut auszusprechen, was man dachte. Die einzigen starken Frauen, von denen wir lesen, waren Königinnen wie Eleanor von Aquitanien (1122 - 1204), aber ich glaube eben nicht, dass das bedeutet, dass keine weiteren existierten. Es waren immer Männer, die die Geschichte niederschrieben, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie sich entschieden hätten, über starke Frauen zu berichten.
Ein Satz über dein neues Buch:
In “In der Mitte der Nacht” muss sich Lady Anne in die gefährliche Welt außerhalb von Develish begeben, um Thaddeus und ihre Mitmenschen vor Anschuldigungen der Ketzerei zu bewahren.
Ein Satz aus deinem neuen Buch:
"There will be no future for anyone in Develish if all are punished for decisions that I – and I alone – have made."
Falls du schon an einem neuen Buch schreibst, darfst du uns schon etwas verraten?
Es wird ein weiterer historischer Page-Turner, der in der Zeit des englischen Bürgerkrieges im 17. Jahrhundert spielt.
Was ist das Besondere an englischer Literatur?
Vielleicht, dass einige der frühen Pioniere der englischen Romane Frauen waren und ihre Literatur die ihrer männlichen Kollegen überdauert - Jane Austen, Mary Shelley, Charlotte Bronte, Emily Bronte, George Eliot - um nur ein paar zu nennen!
Zu guter Letzt: Welchen Buchcharakter würdest du gerne treffen und was würdet ihr gemeinsam unternehmen?
Rebecca aus Daphne du Mauriers gleichnamigem Roman. Sie ist in der Geschichte bereits verstorben, aber dennoch der mächtigste Charakter. Ich würde Rebecca auf einen Drink einladen, um herauszufinden, ob sie wirklich so “bitchy” war, wie ihre lebendigen Mitfiguren sie darstellen.