Ein Gang durch die vielfachen Gefilde der Untreue
Nicht erst seit Simone de Beauvoirs prägnanten Sätzen in „Das andere Geschlecht“ mitsamt seiner radikalen Verteidigung der Frau vor dem „Gefängnis der Ehe“ ist die Fragen nach der eigenen, sexuellen Identität, der Umgang mit dem eigenen Begehren und der Freiheit zu eben diesem Umgang eine existenzielle Kraft im Menschen. Die eben zu allen Zeiten sehr verschieden gelebt wurde, bis heute.
Auch heute noch starke Worte in Bezug auf sicherlich einen, wenn nicht den Kern menschlich sozialen Lebens. Der Zweisamkeit, die Exklusivität, an denen viele auch ihren eigenen Wert noch definieren und ablesen. Eifersucht ist vielfach vorhanden und zu erleben, Angst vor dem Verlust und mit das Schlimmste ist und bleibt in der Breite der Beziehungen das „Fremdgehen“, dass sich „Hingeben“ an einen oder eine andere. Die „Erschütterung des Vertrauens“ in eine Beziehung, in Bezug auf die „romantische“ Liebe.
Beauvoirs biographische Antwort war die der „freien Beziehung“ mit Raum und Platz auch für andere Beziehungen, Lieben, Sex neben ihrer „eigentlichen“ Liebe, Jean-Paul Sartre.
Wobei es, interessanterweise, auch bei einer solch eloquenten und durchdachten Frau mit intellektuell offener Haltung, leger ausgedrückt, nicht sonderlich gut „geklappt“ hat.
Statt des Gefängnisses der Ehe“ war die emotionale Belastung, die doch erkennbare Eifersucht dann eben die intensiv erlebte „andere Seite der Medaille“.
Die emotionale Hoffnung und Ausrichtung auf eine exklusive Liebe ist ein starkes Element der Emotion und durch den Verstand kaum zu bändigen.
„Oh, ich werde sie nicht gehen lassen, solange ich es verhindern kann, ich werde die Falle ganz eng geschlossen halten, ohne Mitleid“. Auch so spricht de Beauvoir.
Es ist, wie es Goldenberg aus ihrer empirischen Forschung in Brasilien zusammenträgt, der bei weitem größte Teil der Befragten wird ein Verhalten von Untreue als eine inakzeptable Abweichung betrachtet, interessanterweise selbst von jenen, die selbst untreu sind. Selbst in den „Nebenbeziehungen“ wird emotional in fast irrationaler Weise sexuelle Treue oft „geglaubt“, dass der Geliebte, die Geliebte mit dem jeweiligen Ehepartner keine Sexualität mehr vollzieht.
Schon das sind interessante Befunde, die Goldenberg dem Leser vor Augen führt, auch wenn sie sich empirisch nur auf brasilianische Verhältnisse bezieht.
„Alle Frauen halten sich für eine Ausnahme, alle sind sicher, dass ihnen gewisse Dinge nicht passieren können, sie täuschen sich alle“.
So fasst es eine der befragten Frauen im Buch zusammen und das gleiche gilt natürlich auch für Männer, auch wenn Goldenberg erkennbar die weibliche Seite der Medaille vorrangig im Buch erläutert und zudem sich in ihren praktischen Forschungen fast ausschließlich auf die brasilianischen Verhältnisse konzenriert.
„Was wir heute erleben ist eine sukzessive Monogamie (über einen kurzen Zeitraum). 47% der Frauen, 60% der Männer geben zu, fremdgegangen zu sein. Auf der anderen Seite wird Untreue immer noch als eines der Hauptbeziehungsprobleme benannt. Niemand kommt damit klar.“
Wobei Goldenberg im Buch, neben vielen anderen Elementen der Untreue und deren Folgen auch die Unterschiede zwischen weiblicher und männlicher Untreue benennt und einen intensiven Blick vor allem auf die weibliche Untreue wirft als „Konflikt zwischen dem Kampf um Unabhängigkeit und der Unterordnung unter die männliche Dominanz“, als Ambivalenz zwischen der Suche nach einer stabilen Beziehung und der obsessiven Suche nach sexueller Leidenschaft.
Ob das überall so ist außerhalb Brasiliens, was das genau für die gesellschaftliche Realität bedeutet und, vor allem, wie es dann in der Breite bei Männern in Bezug auf die Motivlage aussieht, das alles kommt allerdings ein wenig kurz in dieser ansonsten sehr informativen und klaren Darstellung. Eines aber ist klar am Ende der Lektüre: Untreue ist kein individuelles Versagen, sondern ein gesellschaftliches Phänomen an allen Orten und zu allen Zeiten.
Ein Gang durch die vielfachen Gefilde der Untreue