„Liv und Celeste – unter die Haut“ von Mirjam Wicki weckte bereits vor dem Erscheinungstermin auf Instagram mein Interesse. Klappentext, einige Schnipsel und nicht zuletzt das Cover haben mich begeistert, und so holte ich mir das E-Book gleich nach dem Erscheinen. Jetzt im Urlaub habe ich es gelesen – und meine hohen Erwartungen wurden sogar noch übertroffen.
Nicht nur, dass mich das Buch so sehr gefesselt hat, dass ich es binnen zwei Tagen durchgesuchtet hatte, sondern ich war beim Lesen immer wieder auch zutiefst beeindruckt, insbesondere von der Figurenzeichnung. Liv und Celeste sind zwei sehr individuelle, authentisch wirkende Charaktere, einzigartig in ihrer Persönlichkeit, mit Stärken und Schwächen, mit Vorlieben und Ängsten, mit ihrer je eigenen Geschichte und Lebenswirklichkeit, die jeweils so „nebenbei“ und nonchalant in den Roman verwoben sind, dass ich die beiden Frauen so lebhaft vor Augen und in meinem Herzen hatte, als seien sie echt. Ihr Denken und Handeln fand ich zu jeder Zeit stimmig und nachvollziehbar, und ich war sehr gespannt beim Lesen, ob und wenn ja wie diese beiden liebenswerten Frauen zusammenfinden würden. Ich habe sehr mit beiden mitgefiebert und sie schnell ins Herz geschlossen, und dort werden sie ab jetzt ganz bestimmt einen festen Platz behalten.
Auch die Nebencharaktere, allen voran Jaques, aber auch die einzelnen Bandmitglieder, WG-Mitglieder und Familienangehörigen, empfand ich als sehr gut ausgearbeitet, überzeugend und echt. Sie nahmen nicht zu viel Raum ein, aber doch genug, um zu Persönlichkeiten zu werden und den Fortgang der Geschichte und das, was in Liv und Celeste im Verlaufe der Geschichte passiert, mitzugestalten.
Der Plot war ebenfalls beeindruckend. Normalerweise mag ich es gar nicht so, wenn die Liebenden lange getrennt voneinander sind und dort ihre je eigenen Dinge erleben, ich mag es lieber, die Protas miteinander agieren zu sehen. Aber hier war das gar nicht so. Obwohl es viele Passagen gibt, die Liv und Celeste fern voneinander jede für sich erleben, wurde ich nie ungeduldig, sondern alles passte super zusammen, und die andere war doch irgendwie immer auch mit da – in den Überlegungen, in den Gedanken, in den Ängsten, Zielen und Wünschen der jeweils anderen.
Das Ende kam für mich sehr plötzlich, und kurz war ich überrascht und irritiert (da mir am Reader auch kein Lesefortschritt angezeigt wurde, sah ich es auch nicht von daher kommen), aber nachdem ich ein bisschen darüber nachgedacht habe, fand ich es eigentlich doch sehr stimmig so und „gerade an der richtigen Stelle“. Was mir auch gut gefallen hat, ist, wie Corona als „Zeitgeschichte“ wohldosiert etwa ab dem letzten Drittel immer mehr Raum einnimmt und schließlich mit handlungstragend wird.
Das Setting hat mich ebenfalls sehr überzeugt und angesprochen. Ich kenne mich mit dem Musiker- und Bandleben nicht aus, hatte aber nie das Gefühl, dass irgendetwas von dem Geschilderten fragwürdig sein könnte. Ich habe den Figuren alles so abgenommen, ohne zu zweifeln. Auf mich wirkte die gesamte Geschichte gut recherchiert. Das liegt vielleicht auch daran, dass andere Bereiche, die ich gut selbst beurteilen kann (z. B. Leben im Rollstuhl, ADHS), sehr gut recherchiert und glaubwürdig rübergebracht worden sind. Darüber hinaus geht das Buch auch sensibel und politisch korrekt mit Themen wie Queerness, Behinderung und Hautfarbe um, ohne dass es in irgendeiner Weise an irgendeiner Stelle gewollt oder hölzern wirken würde.
Auch den Erzählstil möchte ich nicht unerwähnt lassen. Ich empfand ihn als sehr ausgereift, die Erzählstimmen der beiden Protagonistinnen waren überzeugend, und überhaupt trug die Sprache sehr zur Atmosphäre und zur Emotionalität des Buches bei. Es war ein richtiger Lesegenuss für mich.
Zum Schluss möchte ich auch noch die Sexszenen erwähnen, die für mich genau richtig waren. Mirjam Wicki ist es gelungen, die sexuelle Anziehung der beiden, das Knistern und auch die Erotik für mich greifbar zu machen, ohne dabei aber bis ins Letzte explizit zu werden. Das hat mir richtig gut gefallen.
Fazit: Liv und Celeste – Unter die Haut ist ein fesselnder, gut recherchierter und berührender queerer Liebesroman, gekonnt erzählt, gut recherchiert und mit einer guten Prise Zeitgeschichte gewürzt, der uns zwei faszinierende, schillernde und authentische Protagonistinnen schenkt, die man unbedingt kennenlernen sollte. Und zwar egal, ob man sonst queere Bücher liest oder nicht. Ich vergebe fünf Sterne und eine absolute Leseempfehlung!