"Leoparden brechen in den Tempel ein und saufen die Opferkrüge leer; das wiederholt sich immer wieder; schließlich kann man es vorausberechnen, und es wird ein Teil der Zeremonie".
Franz Kafka" (Zitat)
Der schmale Band "Kafkas Leoparden" von Moacyr Scliar dreht sich um Kafkas rätselhaften Text, dessen Deutungsversuche Bücher und Abhandlungen füllen (lt. Nachwort von Michael Kegler)
In dieser recht unterhaltsamen Geschichte erhält Benjamin Kantarovitch, genannt Ratinho, 1916 von seinem Freund Jossi den Auftrag, nach Prag zu reisen. Jossi will angeblich Trotzki getroffen und von diesem einen Geheimauftrag erhalten haben. Doch Jossi kann den Autrag selbst nicht mehr erfüllen, da er schwer erkrankt ist.
So reist Ratinho, der in der bessarabischen Kleinstadt Tschernowitzky wohnt, nach Prag, um sich dort mit einem bestimmten Schriftsteller treffen, von dem er nur weiß, dass er Schriftsteller, Jude und links ist. Von ihm soll Ratinho einen zweiten Text abholen. Dieser Text dient als Ergänzung zu einem anderen Text, der sich in Jossis Unterlagen befindet. Beide Texte zusammen ergeben die gesuchte Geheimbotschaft.
Doch Ratinho vergisst die Tasche mit Jossis Unterlagen im Zug und auch sonst geht alles schief. Ratinho versucht, sich selbst zu helfen und sich aus seiner Misere zu befreien. Ein Missverständnis nach dem anderen reiht sich aneinander. Schließlich erhält er den gesuchten Text, trifft Kafka persönlich und Ratinho entwickelt einfältige Hypothesen, hält den Leoparden-Text z.B. für eine geheime kommunistische Botschaft.
Bis dahin liest sich die Geschichte mit Humor und "leicht"; ernster ist der Teil in Brasilien, mit dem auch gleich ein Zeitsprung in die 60-er Jahre, der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur, verbunden ist. Anhand des Leoparden-Textes kann Ratinho seinen Neffen vor dem Regime retten.
Viele Verweise finden sich in "Kafkas Leoparden", so schrieb Kafka an Milena Jesenská: "Wenn man mir freigestellt hätte, ich könnte sein, was ich will, dann hätte ich ein kleiner osteuropäischer Junge sein wollen". In "Kafkas Leoparden" stehen sich der Protagonist Kafka und ein osteuropäischer Junge (Ratinho) gegenüber und "missverstehen sich gründlich". (Zitat Nachwort M. Kegler)
Auf die Frage, ob man den Leoparden-Text gebrauchen kann, wird im Buch von dem fiktionalisierten Kafka die Antwort gegeben:
"Rätselhaftigkeit", sagte er schließlich."Manche meinen, das sei das Problem. Für mich ist es die Lösung“ (S. 90)."(Zitat)
Das Nachwort von Michael Kegler ist hilfreich. Schön ist die Aufmachung des Romanes mit Fadenheftung, Halbleinen und der Einbandgestaltung, an der die Künstlerin Norika Nienstedt beteiligt war.
"Kafkas Leoparden" ist Band 18 aus der Reihe Lilienfeldiana, die seltene literarische Entdeckungen präsentiert.
Moacyr Sliar - Kafkas Leoparden