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Genfersee (le Lac Léman). Ein gepflegtes Haus. Eine Vorzeigefamilie. Ein idyllisches Leben. Wäre da nicht Benjamin. Wäre da nicht Summer. Wären da nicht all die Geheimnisse und Tragödien. Tief sitzender Schmerz. Verdrängte Traumata. Innerhalb dieser Geschichte entblättert sich das Schicksal in leisen Tönen und kleinen Schritten. Ein undefinierbares Unwohlsein, ein fesselnder Sog. Ich begann zu erahnen. Was in dieser Familie geschah wird nie gezielt benannt, nur in kleinen Nebensätzen, kaum hörbar.
Triggerwarnung
Ich weiß das sich (leider) einige Leser*innen gespoilert fühlen, wenn man auf mögliche Trigger eingeht. Wer sich an dieser Stelle mit dem gespoilert werden angesprochen fühlt, sollte an dieser Stelle nicht weiterlesen. Ich nehme der Geschichte keine Spannung, denn eine Ahnung zieht sich von Beginn an durch die Zeilen. Was sich dahinter verbirgt wird in wenigen Stellen im Buch immer wieder deutlich, ohne jedoch gezielt genannt zu werden.
Innerhalb dieser Geschichte werden verschiedene Trigger genannt. Zum einen ist da Benjamin, nicht in der Lage seine Träume mit Erinnerungen zu verknüpfen und deshalb in therapeutischer Behandlung. Es ist eine ambivalente Mutter. Ein gewalttätiger Vater. Alkohol. Fehlende Liebe und Zuneigung. Augen verschließen – was man nicht sieht, geschieht nicht. Missbrauch. Emotional und sexuell. In Bezug auf den sexuellen Missbrauch ist dies in einer Szene nicht gänzlich greifbar (Seite 91) und in einer anderen Beschreibung nur innerhalb eines Satzes (Seite 243) beschrieben.
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Diese Familie verbirgt so viel. Hinter der Fassade die, bis zum Verschwinden von Summer, glänzt und scheint. Doch nach und nach verschwindet dieser Schimmer. Freunde und Bekannte wenden sich ab. Und Benjamin, Summers kleiner Bruder, verliert sich. In Rückblicken erzählt er seinem Therapeuten von seiner Jugend, dem Tag an dem Summer verschwand und seine wenigen Erinnerungsstücke und fast wahnhafte Träume.
Ein wundervolles und sehr passendes Cover für die Geschichte dahinter. Der See spielt immer wieder eine prägnante Rolle für Benjamin. Der letzte Tag den er mit Summer und ihren Freundinnen verbrachte, bis sie auf einmal fort war. Unauffindbar. Er glaubt sie im See zu spüren, sieht sie nachts dort in seinen Träumen. Bis er vergisst. Verdrängt.
"Das Ganze ist jetzt vierundzwanzig Jahre und dreizehn Tage her. Schon so lange erinnere ich mich nur an Fetzen, eine Explosion von weißem Licht, und dann: nichts mehr."
(Seite 7)
Bruchstückhaft erinnert er sich. Doch Benjamin schafft es nicht seine Erinnerungen und seine Träume in Einklang zu bringen. Immer wieder erzählt er seinem Therapeuten von Summer. In ihrem Nachthemd, umgeben von Fischen. Ein Anblick der sich in ihm manifestierte, aber an Bedeutung verlor. In dem Sommer in dem Summer verschwand, war seine nicht anwesende Schwester allgegenwärtig. Doch mit der Zeit nahm die Intensität der Suche nach ihr ab. Die Welt drehte sich weiter.
"[…] was nicht thematisiert wird, ist auch nicht geschehen."
(Seite 92)
Ein Satz der Benjamins Familie in seiner Gänze widergibt. Summer war verschwunden und bald auch vergessen. Bis eines Tages die frische Farbe von Benjamins Büro, der neue Teppich darin, es ihm unmöglich macht seinen Arbeitsplatz zu betreten. Die nächtlichen Träume kehren wieder, die Unfähigkeit die Vergangenheit in seiner Gänze zu begreifen. Eine Kindheit die sich auf Summer fokussierte. Benjamin himmelte seine große Schwester an und auch seine Eltern waren vernarrt in sie. Die Kluge, die Schöne. Daneben Benjamin. Mit seinen Ticks, die sein Vater versucht ihm auszutreiben. Doch dann veränderte sich Summer irgendwann. Vaters Hand galt nicht mehr nur ihm, dem Sohn der den Erwartungen nicht gerecht wurde. Der Graben zwischen Mutter und Tochter wurde immer deutlicher, jetzt im Nachhinein, wenn Benjamin versucht seine Kindheit und Jugend in Worte zu bringen. Eine Mutter die nicht greifbar war, nie wirklich anwesend.
Was sich im Verlauf der Geschichte beginnt zu entblättern, entblößt sich am Ende. Immer wieder werden Szenen von Benjamin beschrieben, die verdeutlichen wie die beiden Kinder aufwuchsen. Bruchstückhaft. Ich begleitete Benjamin in seine Kindheit und Jugend. Ich ging mit dem erwachsendem Benjamin auf die Suche nach Antworten. Zart, berührend, tief. Eine Geschichte die direkt eine Sog aufbaute, dem ich mich kaum entziehen konnte.
Die Autorin hat einen sehr leichten und doch stark einehmenden Schreibstil. Poetisch und zart skizziert Monica Sabolo ein tiefgehendes Trauma, eine Kindheit ohne Zuneigung. Sie erzählt von einem Kind das dennoch bedienungslos liebt, bis sich die Wahrheit einen Weg ins Bewusstsein bricht. Dieser Roman hat mich absolut für sich eingenommen!