Emma von Jean Reno (lübbe Verlag)
Mit weit geöffneten Armen geht sie zu Fuß aufs Meer zu. Der Wind bläst so stark, dass er ihr fast den Atem nimmt und auf ihrer Zunge den salzigen Geschmack von Tränen hinterlässt. Ihre Mutter hat ihr erzählt, dass sie schon mit drei Jahren so aufs Meer zugelaufen war: die Ärmchen ausgebreitet wie Flügel, überzeugt davon, wegfliegen zu können.
„Ich hatte Angst, dass ein Windstoß dich mitnimmt, mein Liebes...“
Ihre Mutter ist hier überall. Emma versucht, ihr Bild wachzurufen – ihre anmutige Gestalt, wie sie sich hier in die Fluten stürzt. Jeanne war übermütig und verrückt und außerdem so schön, dass sie alle Herzen im Sturm eroberte. Sie liebte es, im Winter schwimmen zu gehen: „um meine Zellen zum Tanzen zu bringen“, pflegte sie lachend zu sagen. S.17
Er schreibt so schön! Seine Worte berühren mich und streicheln meine Seele!
Ich habe mich in diesen Roman verliebt, vielleicht, weil Emma in diesem Moment so verletzlich ist und die Parallelen unübersehbar sind.
Ja, und ich liebe Frankreich und die Bretagne, den Ort, wo dieser Roman beginnt. Die detailierten Beschreibungen der Natur, die Landschaft, die Kultur und die Gepflogenheiten in dem französischen Landstrich und später im Oman sind bildhaft und sehr interessant dargestellt. Die Probleme, die Jean Reno anspricht, verpackt er hervorragend in die erzählte Geschichte. Besonders die Gegebenheiten im Oman haben mich teils fasziniert und auch betroffen gemacht. Die Frau und ihre Rolle in der Gesellschaft, ein bestimmter Status und die Unterschiede zu unserer Lebensweise wurden sehr gut beleuchtet und in die Erzählung eingebaut.
Jean Reno hat mit Emma Morvan eine spezielle Figur geschaffen. Ihr Handeln ist von Schicksalsschlägen gezeichnet. Ein gewisser Eigensinn ist ihren Erfahrungen geschuldet. Sie ist intensiv und genau so erzählt der Autor auch von ihr.
Emma durchläuft von Anfang bis Ende eine rasante Entwicklung, wächst über sich hinaus und stellt somit die Weichen für eine neue Zukunft. Ihre Beweggründe und Aktionen sind nachvollziehbar und passen sehr gut in den Roman.
Der gediegene Start harmoniert mit dem actionreichen zweiten Teil. Hier merkt man, dass der Autor über hinreichende Filmerfahrung verfügt. Er zaubert mit seinen Worten Bilder in den Kopf. Man hört das wilde Meer an der bretonischen Küste rauschen, läuft mit Emma über den Souk, sitzt im Cafe oder schlendert durch das elegante Hotel. Ihrem Auftrag, Mitarbeiter des luxuriösen Resorts im Oman hinsichtich ihrer Massagetechniken und ihres Könnens zu schulen, kommt sie pflichtbewußt nach. Tariq, den Chef der Wellnessoase, hat Emma durch ihre wundersamen Hände und mit ihrer tollen Ausstrahlung beeindruckt. Ihre Berufung und ihre Massagekünste sind legendär. Hierbei hat mich eine gewisse Spiritualität nicht gestört. Letztendlich wird ihre Begabung nicht aufgeklärt, doch fand ich diesen Aspekt sehr spannend. Energiebahnen durchziehen und umgeben uns. Warum sollten sensible Menschen nicht entsprechend darauf reagieren?
Seit der ersten Begegnung von Emma und Tariq fühlen sich beide unheimlich stark zueinander hingezogen. Doch Tariqs Status im Oman sieht ein Zusammensein mit der Französin nicht vor. Somit entwickelt sich eine heikle Konstellation, die Emma immer mehr in die Enge treibt. Verschiedene Interessen, Machtspiele und unerfüllbar scheinende Erwartungen gedeihen zu einer brisanten Spionageaffäre.
Fazit: Ein grandioses Debüt! Mir hat die Mischung aus tiefgründigen Gedanken, rasantem Actiontrthriller und einer intensiven Liebesgeschichte unheimlich gut gefallen. Ich hoffe aus tiefsten Herzen, dass ich weitere Abenteuer der starken Protagonistin in einem Nachfolgeroman lesen darf. Ich schätze Jean Reno als Schauspieler und somit seine Arbeit sehr. Mit Emma hat er bewiesen, dass er auch Romane schreiben kann. Sein Schreibstil ist besonders, intensiv, einzigartig und sehr gut lesbar, eine klare Leseempfehlung von mir!