Habe jetzt erst den 3. Band der Erinnerungen gelesen und bin davor nochmal die ersten beiden Bände durchgegangen, die ich schon bei Erscheinen gelesen hatte, um mir die Familie wieder in Erinnerung zu rufen. Vor allem Bagage (erster Band) und grossteils Vati (zweiter Band) überzeugen nach wie vor in der episodenhaften und auch sprunghaften Skizzierung der Begebenheiten und Charaktere. Das kenntlich gemachte Auffüllen mit fiktionalen Elementen, wo es keine Überlieferung mehr gibt, ist vor allem bei der Bagage, deren Geschichte weit in die Vergangenheit bis zum ersten Weltkrieg zurückreicht, sehr gut gelungen und evoziert bei aller Bruchstückhaftigkeit ein eindringliches Gefühl für die Dorfgesellschaft. Bei den Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, wo die Lücken mehr im eigenen Fehlen der Erinnerung begründet sind, würde ein willkürliches Auffüllen mit Fiktion einen größeren Bruch darstellen, folgerichtig bleiben hier Leerstellen, die den Leser etwas unbefriedigt zurücklassen. Es geht zwar klar nicht darum, eine lückenlose Biografie der jeweiligen Hauptfiguren zu erstellen, trotzdem verwundert es etwas, dass manche Lebensabschnitte fast komplett ausgeklammert werden. So erfährt man von Vati kaum mehr was aus der Zeit nach seinem versuchten Selbstmord und dem Tod seiner ersten Frau, auf sein zweites Leben, wo er auch die Kinder nochmal zu sich geholt hat, wird nicht mehr eingegangen. Gleiches gilt für die letzten 5 Jahre im Leben des Bruders Richard nach der Katastrophe mit der Ziehtochter Putzi, wie Richard die Zeit danach verbracht hat, erfährt man so gut wie gar nicht, außer dass sich die Autorin um ihn kümmern wollte, aber dann immer wieder vergessen hat. Mehr erfährt man hier über die Autorin selber und wie sie sich mit ihrem Mann über die Entstehung des Buches bespricht, das sich anbahnende tragische Ende des Bruders wird nicht versucht zu ergründen.
Es bleibt der Autorin natürlich unbenommen, persönliche schmerzliche Erinnerungen nicht zu thematisieren. Was beim zweiten Mal lesen vor allem Irritationen ausgelöst hat, sind aber die mitgeteilten biografischen Fakten, die teilweise arg widersprüchlich sind. Im ersten Band wird an einer Stelle ausgeführt, dass Walter, der bei Einziehung des Vaters an die Front 1914 5 Jahre ist, 42 Jahres alt werden wird und bei einem Unfall stirbt. Das muss dann also im Jahre 1951 gewesen sein. Im zweiten Band taucht er dann immer wieder fidel mit den anderen Onkeln bei Tante Kathe auf, wo die drei Schwestern nach dem Tode der Mutter untergebracht sind. Das muss laut den Angaben zum Tod der Mutter und dem Alter der Töchter zu dem Zeitpunkt weit später ab ca. 1958 gewesen sein. Es ist hier dann auch keine Rede mehr davon dass Walter irgendwann verunglücken wird oder verunglückt ist. Noch irritierender sind die Angaben zum Vater, wo man meint die Lebensdaten müssten der Tochter eigentlich präsent sein. Laut Angaben der Autorin am Ende des zweiten Bandes stirbt er plötzlich im Alter von 67 Jahren, nach den Altersangaben, die zu seiner Zeit im 2. Weltkrieg gemacht werden, muss das ca. 1987 gewesen sein. Dem entgegen steht die mehrmals erwähnte gemeinsame Berlin-Reise, die zum Zeitpunkt eines Gesprächs, das der Vater mit seiner Tochter sucht, als sie 15 Jahre war (also 1962), in einem einzigen Absatz erst 23 Jahre, dann 33 Jahre, dann wieder 23 Jahres später stattgefunden hat. Da in dem Absatz von der ehemaligen DDR die Rede ist, vermutet man, dass eher die 33 Jahre stimmen müssen, das wäre Mitte der Neunziger. Am Ende des Buches erfährt man dann dass er Ende der Achtziger gestorben ist. Im dritten Band kommt die Autorin nochmals darauf zurück und schreibt nun dass sie in den Neunzigern gemeinsam in Berlin waren.
Die literarischen Stärken der Bücher bleiben, vor allem Bagage, aber auch die beiden anderen Bücher weisen viele gut geschilderten Szenen auf, die ein wahrhaftiges Bild der Personen vermitteln. Da mag der Überblick aufs Ganze manchmal verloren gegangen sein.