Rezension zu "Majdanek" von Mordechai Strigler
Aus dem Vorwort von Yechiel Szeintuch (Hebräische Universität Jerusalem): „Mordechai Strigler war einer der gebildetsten und produktivsten jiddischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er war Dichter, Essayist, Kulturhistoriker, rabbinischer Gelehrter, politischer Kommentator und Romanautor. 1978 erhielt er den Manger-Preis für Jiddische Literatur.“ Ich empfehle, das Vorwort auf jeden Fall komplett zu lesen. Es enthält wichtige Informationen zum Autor selbst, aber auch zu dem ganz speziellen Stil, in dem „Majdanek“ verfasst wurde.
„Majdanek“ ist ein außergewöhnliches Buch, welches sich thematisch nicht von den vielen Zeitzeugenberichten zu den Vernichtungslagern des Dritten Reiches unterscheidet, inhaltlich aber ganz anders gelagert ist. Strigler teilt nicht nur mit, was geschehen ist, was er während seiner fast siebenjährigen Odyssee durch 12 verschiedene Vernichtungslager gesehen und erlebt hat. Strigler seziert die Vorgänge des täglichen Ablaufes im Vernichtungslager Majdanek unter Einbeziehung aller Beteiligten nach psychologischen Gesichtspunkten und beginnt mit dem Schreiben direkt im Jahr 1945 nach seiner Befreiung aus Buchenwald, noch unmittelbar unter dem Eindruck des Erlebten stehend.
Striglers Beschreibungen der sieben Wochen, die er in Majdanek verbrachte, sind klar und drastisch. Sparsam verwendete, angemessen poetische Formulierungen schaffen eine hohe literarische Qualität, die für mich zum Wertvollsten gehört, was ich bisher in diesem Bereich gelesen habe. Er zeigt die Bestie Mensch unabhängig von Alter, Konfession, Bildung, Hautfarbe, Herkunft, Gesellschaft. Die homogene Gesamt-Masse Mensch eines Vernichtungslagers, die unter diesen extremen Bedingungen nicht nur Täter auf der einen Seite und Opfer auf der anderen Seite hat, sondern in der beide Seiten teilweise miteinander verschmelzen, ineinander aufgehen und das Grauen des Lesers bei der Lektüre mit wahnsinniger Wucht potenzieren. Kinder, die ihre Eltern töten. Juden, die Juden erschlagen. Nichtdeutsche Sadisten, die Jeden foltern und töten und deren Antisemitismus dem der Deutschen in nichts nachsteht.
„Ich muss aber zugeben, dass ich nach Allem, was ich gesehen und gehört habe und trotz meiner guten Menschenkenntnis aufgebe, bis zum tiefsten Grund der menschlichen Seele vordringen zu wollen. Es sind nicht mehr als Erklärungsversuche, die jemand anders, jemand, der frischer und weniger überlastet ist, wird analysieren und vertiefen müssen.“
Es bleibt Fassungslosigkeit, Unbegreifbarkeit im Wortsinne – Wahnsinn kann man nicht begreifen und auch nicht verstehen. Man nimmt ihn zur Kenntnis und bekommt den Anflug einer Ahnung, dass die Bestie in jedem einzelnen Menschen steckt und mit nicht mal besonders ausgefeilten psychologischen Handgriffen zum Leben erweckt werden kann. Und die Angst, jemals in eine Situation zu geraten, wo dies mit einem selber möglich ist.
„Majdanek“ ist ein wichtiges Buch, welches auf sehr vielen Ebenen zum Denken anregt und den (deutschen) Leser nicht auschließlich mit Betroffenheit und den damit verbundenen Schuldgefühlen zurück lässt. Dafür zolle ich Mordechai Strigler großen Respekt. Wer sich eingehend mit dem Thema Holocaust befasst, sollte Strigler unbedingt gelesen haben. Ein Buch, welches spät, aber nicht zu spät in deutscher Sprache erschienen ist.
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