Dies ist die erste Leserunde, die ich veranstalte und ich bin sehr gespannt und freue mich auf euer Interesse, den Austausch und Feedback, Rezensionen zum Buch.
„Das Geheimnis der Museumsinsel“ beginnt mit einem Prolog im Sturm 1822, danach kommen Kapitel 1. – 3. in denen sich die drei Hauptcharaktere das erste Mal, und ohne ihr Wissen, begegnen. Diese drei Kapitel stelle ich hier als Leseprobe ein:
1.
Juli, 2030
Wasser. Tim Morgenstern war auf dem Weg zur Museumsinsel und steckte in einer Zwickmühle. Einerseits fühlte er sich auf dem Gendarmenmarkt, der trotz hochsommerlicher Hitze zur Mittagszeit voller Touristen war, ziemlich unwohl, und wollte daher schnell weiter. Andererseits war er sich sicher, etwas Wasser trinken zu müssen, um in der ungewohnten Hitze nicht zu kollabieren. Daher wartete er seit ein paar Minuten in der Schlange vor dem öffentlichen Wasserspender am Schillerbrunnen. Asimov, seinem Roboterhund, machte die Hitze nichts aus, er wuselte in einem Umkreis von 20 Metern durch die Menschenmenge und ließ sich von neugierigen Berlinbesuchern das schwarze Kunstfell streicheln und fotografieren. Tim hatte sich den Hund auch angeschafft als eine Art Aufmerksamkeitsblitzarbeiter, um etwaigen kritischen Blicken seiner Mitmenschen zu entgehen. Das war zumindest in seiner Vorstellung ein Problem, auch wenn er manchmal den Verdacht hatte, in Wirklichkeit ziemlich unscheinbar zu sein. Er zählte die Säulen, Skulpturen und schließlich Fenster des Schauspielhauses, um sich vom Schweißgeruch des Vordermanns in der Schlange abzulenken. Endlich war er an der Reihe, beugte sich vorsichtig zum Wasserstrahl vor, drückte sein ausgebeultes blaues Hemd an den Bauch, wurde dann aber durch eine Frau im grünen Kleid abgelenkt. Dadurch bekam er Wasser in die Nase, taumelte schniefend rückwärts, dabei fast über seinen Hund stolpernd, und rauschte in den Bauchladen eines Eisverkäufers. Tim entschuldigte sich, indem er ein Eis kaufte. Der Eisverkäufer fluchte und bedankte sich für das Trinkgeld. Verärgert über sein Malheur riss Tim die Eispackung mit einem Ruck auf, um das Eis dann fallen zu lassen.
Es war ja nicht so, dass er freiwillig hier war. Aber Tim musste einen Raub verhindern. Ein Raub, der in wenigen Wochen während der Jubiläumsfeier 200 Jahre Museumsinsel« stattfinden sollte. Die kryptischen Hinweise, Zahlenreihen, Symbolrätsel und codierten Botschaften, die er bei seiner Arbeit für den Verfassungsschutz versteckt in den Tiefen sozialer Netzwerke gefunden hatte, hatten ihn zu dieser Schlussfolgerung gebracht. Ein Raub, ausgeführt nicht von gewöhnlichen Kriminellen, sondern von einer Art Sekte, die er bisher nicht kannte, und die dann wer weiß was als nächsten Schritt geplant hatte. Andererseits, sicher war sich Tim keineswegs, im engeren Sinne Beweise für seine These, eindeutige Beweise, die er seinem Chef vorlegen konnte, hatte er noch nicht. Dafür die Sorge, dass er sich eine Verschwörung zusammenbastelte, die es gar nicht gab und er sich dann wieder einmal bei seinen Kollegen mit einem falschen Alarm blamieren würde. Daher hatte er bis jetzt niemandem beim Verfassungsschutz davon erzählt und versuchte, auf eigene Faust zu ermitteln. Für heute hatte er jedoch genug und trat den geordneten Rückzug an. Ein Druck auf die kleine Bedienung an seinem Schlüsselbund und Asimov trabte herbei, damit sie zusammen nach Hause gehen konnten.
2.
Annabel Lindenkamp trug das grüne Kleid, welches sie selbst entworfen hatte, nur zur Probe. Auf einem imaginären roten Teppich wandelnd, lief sie diagonal über den Gendarmenmarkt zu dem Geschäft, das ihre Lieblingspralinen im Angebot hatte. Das Ergebnis des Probeschaulaufens war überaus zufriedenstellend. Menschen allen Alters und Geschlechts drehten sich nach ihr um. Ein kleines Mädchen, dem sie zuzwinkerte, war so abgelenkt, dass es gegen eine große Leuchterlaterne lief, und ein Tollpatsch im blauen Hemd bekleckerte sich am Wasserspender. Sehr gut. Nur einer dieser neumodischen Roboterhunde zeigte keine Regung und taperte mit gesenktem Kopf ungerührt an ihr vorbei. Annabel kaufte ein Eis und betrachtete das große Plakat auf einem Aufsteller vor dem deutschen Dom. Sie hingen jetzt überall in der Stadt. Oben auf dem Plakat stand in goldenen Lettern »200 Jahre Museumsinsel«, darunter in Großaufnahme das Bild eines grünschimmernden Armreifs. Das Exponat war der Star der Jubiläumsausstellung. Erst im Frühjahr hatte man den Armreif aus einem schweren Granitsarkophag geborgen, den man bei Arbeiten zur Elbvertiefung entdeckt hatte. Zuordnen konnte man den Sarkophag der »Gottfried«, die 1822 mit vielen ägyptischen Fundstücken im Sturm gesunken war. Wie sie gelesen hatte, war das Wrack nie gefunden worden. Nur etwas Strandgut, einschließlich einiger Mumien in Holzkisten, die nach dem Sturm an Land gespült worden waren, und 20 Kisten, die damals auf dem Landweg nach Berlin transportiert wurden, hatten die Reise von Ägypten nach Preußen überlebt. Einiges davon hatte man über die Jahre verstreut in den Magazinen verschiedener Museen und Privatsammlungen gefunden und nun wurde der Armreif zusammen mit den anderen Fundstücken das erste Mal in einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert. Annabel wusste das alles so genau, weil sie als Kuratorin für diese Sonderausstellung verantwortlich war. Sie wusste auch, dass einige Kunstsammler für den Armreif, aus ungewöhnlichem Material und mit unbekannten Symbolen markiert, ein ausgewachsenes Vermögen bezahlen würden. Das neue Kleid diente nicht nur der Eitelkeit, Annabel würde sich damit auch, vor aller Augen, mitten im Scheinwerferlicht, verstecken. Jeder würde sich an die charismatische Dame im grünen Gewand erinnern, die die Festrede gehalten hatte. Niemand würde am Ende des Tages vermuten, dass ausgerechnet sie für den Diebstahl des Armreifs verantwortlich war.
3.
Lennard Seefischer hatte von der Aussichtsplattform des französischen Doms einen guten Blick auf den Berliner Gendarmenmarkt. Später wollte er die Museumsinsel besuchen, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen. Das hatte man ihm nahegelegt. Er lehnte sich weit über die Balustrade und betrachtete die Menschen auf dem Platz vor ihm mit angemessener Verächtlichkeit. Viel zu viele Menschen in einem lärmenden Gewimmel vereint. Kaum vorstellbar, dass sie dabei wirklich etwas von ihrer Umgebung wahrnehmen konnten. Vielleicht war das der Grund, warum sie alles akribisch in Bild und Ton dokumentierten. War er auch mal so gewesen? Vor seinem Unfall. Bevor er eine Aufgabe hatte, die über sein unbedeutendes kleines Leben hinausging. Wie lange es den Eternalistischen Rat gab, wusste er nicht genau. Aber er wusste, selten waren sie ihrem Ziel so nahe wie in diesen Tagen, zumindest einen der Armreifen in ihren Besitz zu bringen. Das letzte Mal vor gut 200 Jahren, als alles für die Ankunft der »Gottfried« vorbereitet war. Ein lautes, metallenes Klirren schreckte Lennard auf. Arbeiter waren damit beschäftigt, die Tribüne für ein Open Air Konzert aufzubauen, damit die Zerstreuung am Abend weitergehen konnte. Eine Diva, verkleidet als grüner Farbklecks, stöckelte durch die Menge und ein verschüchterter Mann Mitte 30 ging mit seinem Spielzeughund spazieren. Nein, es war nicht schade, dass es diese Welt in ein paar Wochen nicht mehr geben würde. Nach der großen Umstellung würde die große Ruhe einkehren. Jeder und alles den festen Platz haben, der angemessen war. In einer Gesellschaft mit ewig unveränderbarer und eindeutiger Ordnung. Eine Ordnung, über die sie wachen würden. Und alles, was in dieser Zukunft keinen Platz hatte, und das war einiges, war dann Geschichte. Dafür würden Lennard und die anderen Mitglieder des Rates sich alle Zeit der Welt nehmen, buchstäblich.“
Das Spree-Bild ist ein Auszug aus dem Memhardt Plan von 1652. Es zeigt die Museumsinsel als Gartenanlage, lange bevor 1830 das erste Museum gebaut wurde. Der Begriff Museumsinsel setze sich erst Ende des 19. Jahrhunderts durch, nachdem mit der Alten Nationalgalerie insgesamt drei Museen auf dem Areal standen.