Cover des Buches Wir lieben und wissen nichts (ISBN: 9783499245190)
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Rezension zu Wir lieben und wissen nichts von Moritz Rinke

Liebe ist alles, auch wenn wir nichts wissen.

von R-E-R vor 9 Jahren

Rezension

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R-E-Rvor 9 Jahren

Wieder einmal muss ich meinen liebsten Vampirfilm zitieren. “Koukol ich kann nicht!” jammert Yoyneh Shagal, als der bucklige Diener des Grafen Krolock ihn aus der Gruft hinauswirft, in die sich der alte Gastwirt (zu dieser Zeit längst selbst zum Vampir mutiert) heimlich geschlichen hat. Er wehrt sich gegen seine zwangsweise Umsiedelung mit den Worten „im Schweinestall sei es doch viel zu hell für ihn und es sei schmutzig und kalt“. Koukol lässt sich jedoch nicht erweichen. Ebenso wenig wie Hannah, eine der Hauptfiguren bei Moritz Rinke.

Nun ist es nicht etwa so, dass Hannah ihren Sebastian im Schweinestall unterbringen will. Die gut bezahlte Trainerin für Zen-Atmung muss lediglich aus beruflichen Gründen nach Zürich umziehen und hat aus diesem Grund einen Wohnungstausch organisiert. In einer Stunde werden die Tauschpartner erwartet. Roman, der IT- Manager, muss ebenfalls aus Arbeitsgründen den Wohnort wechseln und bringt seine Frau Magdalena gleich mit. In dieser Situation appelliert Sebastian, schutzlos seinen Neurosen ausgelieferter Germanist: „Hannah, ich kann nicht!“ Allein es nutzt ihm so wenig wie Yoyneh.

Ich habe Moritz Rinkes „Wir lieben und wissen nichts“ kürzlich im Stadttheater Augsburg in einer sehr gelungenen Inszenierung gesehen und mir hinterher das Stück zum Nachlesen gekauft. Ich war von beidem gleichermaßen begeistert. Zu Beginn vergnügt man sich unbeschwert mit der vor Sprachwitz sprühenden Beziehungskomödie. Sebastian erklärt dem staunenden Publikum wortreich, warum er auf keinen Fall „umgesiedelt“ werden will. Eine neue Umgebung und fremde Geräusche bringen ihn für Stunden und Tage aus dem seelischen Gleichgewicht, weshalb er sich die Erzeuger der “feindlichen Geräuschkulisse” menschlicher machen muss indem er sie besucht und ihre Eigenheiten kennenlernt. Das kostet ihn viel Zeit, die der freischaffende Schreiberling zwar hat aber lieber für seine (brotlose) Kunst verwenden will: Er schreibt Vorworte!

Es ist zum Schreien komisch, wenn Sebastian beschreibt, das Frankfurt (der letzte Umzug) die Hölle war, weil die Hessen und besonders jene in der Main-Metropole “Möbelrücker vor dem Herrn” seien, die den lieben langen Tag nichts anderes täten als ihre Einrichtungsgegenstände hin und her zu schieben nur um ihn zu quälen. Was mich, als von dort stammend, besonders amüsierte.

Als Roman und Magdalena schließlich da sind, wird offenkundig was sich bereits zu Anfang ahnen ließ, nämlich das bei beiden Paaren einiges im Argen liegt. Hier treffen vier Menschen aufeinander, deren Fassade Risse hat und die sich im Laufe des Abends immer weniger Mühe geben, zu verbergen was dahinter lauert. Keiner der vier ist in seiner gegenwärtigen Liebe glücklich, aber in ihrem Unglück haben sie sich bisher komfortabel eingerichtet. Bis nun die Konfrontation miteinander sie zwingt alles offenzulegen und die Schutzwälle brechen. Um die Spannung nicht wegzunehmen, möchte ich hier nicht näher darauf eingehen, was den Protagonisten das Leben schwer macht. Daher nur soviel: Im Verlauf der Handlung fallen alle Hüllen (äußerliche wie innere), die Situation spitzt sich zu und am Ende fällt ein Schuss!

“Wir lieben und wissen nichts” seziert das Wesen der Liebe. Wie verliebt man sich, wie viel Wahrheit verträgt die Liebe und welche Lügen sind tödlich. Wie geht ein Mann damit um, von seiner Partnerin finanziell ausgehalten zu werden? Macht Liebe erfolgreich oder verliebt man sich in den erfolgreichen? Wann bleibt die Liebe auf der Strecke und welche Geheimnisse müssen verborgen bleiben um die Liebe nicht zu gefährden? Der gemeinsame Nenner all dieser Fragen, die zentrale Frage nämlich was Liebe ist, wird natürlich weder an einem Theaterabend noch durch die Lektüre geklärt. Diese Frage muss Rinke gar nicht beantworten. Seine Tragikomödie ist auch so sehens- und lesenswert. Im Grunde läuft es ohnehin auf das Hohelied der Liebe aus dem 1. Korintherbrief hinaus: “Am Ende bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe. Diese drei. Die größte unter ihnen aber ist die Liebe.” Liebe ist und bleibt alles, auch wenn wir nichts wissen!

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