Miran wächst in den 1960er Jahren in dem kleinen Dorf Sobyan, welches einst von Armeniern errichtet und dann verlassen wurde, auf. Seine Familie gehört dem kurdischen Volk der Zaza an, weswegen er mit seinen Eltern und Geschwistern auch Zazaki spricht. Eines Tages erscheint in seinem Dorf jedoch ein Mann, Zengin Bey aus Trabzon, der sämtlichen Kindern dort die türkische Sprache beibringen soll - er sorgt auch dafür, dass Milan mit zehn Jahren einen neuen Namen bekommt. Fortan wird er Mehmet heißen, was nur seine Mutter nicht anerkennt.
Mirans großer Bruder Yusuf durchläuft ebenfalls eine große Veränderung: Er macht sich auf, um eine kurze Zeit in der Hauptstadt zu verbringen und wird erst nach ein paar Jahren wiederkehren.
Milans Vater ist ein angesehener Mann in Sobyan, denn als Geschichtenerzähler vermag er seine Zuhörer an andere Orte und in andere Zeiten zu versetzen. Mit seiner sanften Stimme gibt er jedem ein behagliches Gefühl und auch sonst ist er sehr hilfbereit. Doch geschieht an einem trostlosen Dienstagnachmittag im Frühjahr 1966 etwas dass das Leben der Familie für immer verändern wird.
"Mit jedem Tag schienen die Spannungen im Haus zu wachsen." (S.165)
Kurz darauf sieht sich die Familie gezwungen, ihr Dorf zu verlassen um auf ein besseres Leben hoffen zu können.
So hat ein einziger schicksalshafter Moment alles niedergeschmettert, was sie sich mühsam aufgebaut haben - und plötzlich ist nichts mehr wie es war. Die Erinnerung an diesen Moment wird Miran nie mehr vergessen können.
Dieser Familienroman hat mich sehr beeindruckt, da sehr eindringlich die Zustände und Veränderungen in dem kleinen Dorf beschrieben werden und auch auf sehr beeindruckende Weise gezeigt wird, wie sich die Menschen angesichts der großen Unterschiede zwischen Stadt und Land, dem konflikt zwischen Sunniten und Aleviten, dem Völkermord an den Armeniern oder Schicksalsschlägen entwickeln.
Einige Szenen haben einen starken Eindruck hinterlassen, allen voran eine Operation, die nicht so schmerzfrei verläuft, wie man es sich erhoffen würde...
Manchmal hat das Buch von 437 wirklich seine Längen, dann wird es jedoch wieder äußerst spannend.
Zudem macht dieses Buch einen mal traurig, dann macht es wütend, löst Erleichterung aus - es ist ein ständiges Auf und Ab.
Gerade wegen einiger heftigeren Szenen, ist "Das Licht im Land meines Vaters" nichts für schwache Nerven und zarte Gemüter...
Sehr hilfreich ist das Glossar am Ende des Buches, welches sowohl Türkische und Zazaki Begriffserklärungen oder allgemeine gibt.
3,5 Sterne
Murat Isik
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Das Licht im Land meines Vaters
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Tiefgreifende Veränderungen des Lebens und der Zeit
Eigentlich kann man fast sagen, dass „damals“, als die erste Welle der „Gastarbeiter“ in den südlichen Ländern Europas aufbrachen, um im „reichen“ Norden Arbeit und Lohn zu finden, „die Welt noch in Ordnung war“. Was aber nur den vordergründigen Schein eines „geordneten“ Exodus betreffen würde.
Denn nicht unbedingt freiwillig kamen gerade aus der Türkei so viele Menschen nach Westeuropa. Nicht nur die wirtschaftliche Not war dabei der treibende Faktor, auch die gravierenden Umbrüche, die gerade in den ländlichen Provinzen der Türkei mit Beginn der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts begannen, unaufhaltsam stattzufinden.
Umbrüche, begleitet von Aggression und Hoheitsansprüchen von türken gegenüber anderen, kleineren Völkern und Religionsgemeinschaften (wie vor allem den Kurden gegenüber), die im Zuge der Schaffung eines straffen „Generalstaates“ immer mehr auch Bedrängnis in das zwar grundsätzlich eher karge, aber doch ausbalancierte Leben in den Dörfern brachte.
Anhand der Geschichte Mirans (zu Beginn der Ereignisse 10 Jahre alt), vollzieht Murat Isik in seinem Debütroman diese Veränderungen, dieses „rauer“ werden des gesellschaftlichen Klimas, dieses „mehr und mehr gegeneinander“ (statt mit- oder nebeneinander) existieren der verschiedenen Vlks- und Religionsgemeinschaften nach.
Und führt den Leser ebenso unmittelbar und mit der Gabe, die Atmosphäre je auf den Punkt zu beschreiben, zunächst hinein in diese „alte Welt“ der jahrhundertealten Traditionen und des austarierten Lebens, Wie bei Miran, Jungen, der in Syban aufwächst, einem Dorf in der Osttürkei, das vor langer Zeit von Armeniern gegründet wurde, die das Dorf fat von heute auf morgen einfach so scheinbar verlassen hatten.
Doch dann wird das Lebend er Familie jäh aus dem Gleichgewicht gerissen.
„Mein Vater war nur noch ein Schatten seiner selbst und meine Mutter ließ keine Gelegenheit ungenutzt, ihm dies unter die Nase zu reiben“.
Die Situation wird unhaltbar.
„Nichts, ich bin nichts mehr“.
Und doch wird neues beginnen, aber mühsam, unter Spannungen, am anderen Ort.
Eine Geschichte, die Isik wunderbar leichtfüßig erzählt, ohne die dramatischen Ereignisse zu verharmlosen (allein die Geräusche, die er im Krankenhaus schildert, lassen jeden Leser dankbar sein für die Errungenschaft moderner Narkose-Medizin). Eine Geschichte davon, das man alles verlieren kann im Leben, dass Neuanfänge schwierig sind, eine Geschichte von Veränderungen eines gewohnten und angestammten Lebens in einem Land unter starken Veränderungen und dennoch eine Geschichte der Hoffnung.
„Du wirst es zu etwas bringen, weil du gesehen hast, wie es ist, wenn man alles verliert und nichts mehr hat“.
Auch wenn gerade im mittleren Teil sich die Ereignisse teils doch etwas zäh dahinziehen einige Wendungen sich zu wiederholen scheinen, sprachlich und von der emotionalen Intensität her öffnet Isik dem Leser überzeugend ein „fremdes Land“ und zeigt Entwicklungslinien in ihrer Entstehung auf, die bis in die Gegenwart nachwirken.
Eine anregende Lektüre.
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