Mustafa Khalifa

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Autor*in von Das Schneckenhaus.

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Cover des Buches Das Schneckenhaus (ISBN: 9783835375963)

Das Schneckenhaus

(3)
Erscheint am 21.05.2025 als Gebundenes Buch bei Weidle.

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Das Schneckenhaus

(3)
Erscheint am 21.05.2025

Neue Rezensionen zu Mustafa Khalifa

Cover des Buches Das Schneckenhaus (ISBN: 9783938803929)
sabatayn76s avatar

Rezension zu "Das Schneckenhaus" von Mustafa Khalifa

sabatayn76
'Hof 1 ist der größte Beweis für die Nichtexistenz eines Wesens namens Gott!‘

‚Anfangs rief ich Gott um Hilfe - ich, der ich mein Lebtag mit meinem Atheismus geprahlt hatte. Doch angesichts der Allmacht der Militärpolizei konnte Gott nichts ausrichten! Ich fragte grollend: Wo ist Gott? Hof 1 ist der größte Beweis für die Nichtexistenz eines Wesens namens Gott!‘ (Seite 42)

Der Protagonist des Romans stammt aus einer arabischen Familie christlich-katholischen Glaubens, hat sechs Jahre in Frankreich gelebt und an einer Pariser Filmhochschule studiert, doch dann beschließt er, in seine syrische Heimat zurückzukehren.

Am Flughafen in Damaskus wird er vom Geheimdienst empfangen, in ein Gebäude in der Nähe gebracht und gefoltert. Ihm wird vorgeworfen, der verbotenen Muslimbruderschaft anzugehören, und als er sich als Christ bzw. Atheist zu erkennen gibt, wird er in das berühmt-berüchtigte Wüstengefängnis bei Palmyra (Tadmor) gebracht, wo er die nächsten 13 Jahre seines Lebens verbringen wird.

‚Das Schneckenhaus‘ ist ein Roman mit autobiografischen Zügen: Der syrische Autor Mustafa Khalifa, der heute in Frankreich lebt, war selbst ohne Anklage und ohne Prozess in verschiedenen syrischen Gefängnissen inhaftiert. Die meiste Zeit davon verbrachte er in Tadmor, und in seinem Roman verarbeitet er eigene Erfahrungen und Beobachtungen, aber auch Schilderungen von Mithäftlingen.

Das Resultat ist ein Buch, dass einem bisweilen den Boden unter den Füßen wegzieht. ‚Das Schneckenhaus‘ ist brutal und explizit, Khalifa erzählt en détail und mit schier unerträglicher Lebendigkeit und Authentizität von Foltermethoden und Entwürdigung, von Krankheiten und Tod, von Ausgrenzung und Isolation, aber auch von der zermürbenden Eintönigkeit zwischen den Grausamkeiten und von den Folgen der traumatischen Erlebnisse.

Wer es sich zutraut, über 300 Seiten hinweg in den ebenso tristen wie barbarischen Alltag in einem syrischen Gefängnis einzutauchen, dem empfehle ich ‚Das Schneckenhaus‘ sehr, denn hier bekommt man Einblicke, die man sonst kaum erhält - und von denen man sich oft wünscht, dass man sie nicht erfahren hätte.

Auch die Schilderungen der Zeit nach der Freilassung haben mich beeindruckt. Hier zeigt Khalifa auf eindringliche Weise, dass der Protagonist nicht mehr ins Leben und in den Alltag zurückfindet, dass er sich durch sein Trauma emotional tot fühlt, dass er seinen Tag nur noch mit Alkohol und Nikotin durchsteht, sonst aber wenig tut:

‚Seit einem Jahr lebe ich in diesem Zustand. Ich weiß, daß meine Zurückgezogenheit, meine Absonderung, mein Meiden von Menschen ein ungesunder Zustand ist, aber ich habe absolut kein Bedürfnis und keinen Willen, dies zu ändern. Im Gegenteil, ich gerate in tödliche Panik, wenn in meinem Kopf die Vorstellung aufblitzt, wieder wie die anderen Menschen zu leben.‘ (Seite 301)

Das Nachwort trägt sehr zum Verständnis des Romans bei und bettet die im Buch erzählten Geschehnisse in den geschichtlichen und politischen Kontext ein.

Das Gefängnis in Tadmor wurde 2015 übrigens vom ‚Islamischen Staat‘ zerstört, zuvor jedoch gefilmt, so dass der Öffentlichkeit einige Aufnahmen dieses Ortes zur Verfügung stehen.

Cover des Buches Das Schneckenhaus (ISBN: 9783938803929)
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Rezension zu "Das Schneckenhaus" von Mustafa Khalifa

aus-erlesen
Schonungslos

Es ist eine Szene wie sie millionenfach an Flughäfen rund um den Erdball zu beobachten ist: Ein Paar steht sich gegenüber. Einer der beiden wird bald abreisen und den anderen zurücklassen. Es ist eine Szene wie sie tausendfach an Flughäfen rund um den Erdball zu beobachten ist: Ein Paar steht sich gegenüber. Sie will um alles in der Welt nicht, dass er davonfliegt. Sie fleht, bettelt, weint fast. Ihn zieht es in die Ferne, in die Heimat zurück. Die hat er seit Jahren nicht gesehen. Seine Heimat ist Syrien in den Achtzigerjahren. Hafiz al-Assad regiert das Land mit stahlharter Faust und hat Rückendeckung aus Moskau. In knapp zwei Jahrzehnten wird er seinen Posten an seinen Sohn Baschar vererben. 
Der unbekannte junge Mann, der Ich-Erzähler, stimmt in großen Teilen mit dem Autor des Buches Mustafa Khalifa überein. In Frankreich hat er Film studiert, Khalifa nicht. Was nach der Landung geschieht, hat sich niemand vorstellen können. Weder der Autor, seine Freundin, die er heiraten durfte, noch der Ich-Erzähler. Der Geheimdienst nimmt ihm seinen Pass ab, und gemeinsam fahren sie durch die Wüste. Die war einmal seine Heimat, die Heimat, die er so sehnlichst wieder sehen wollte. Den Koffer auspacken und sich heimisch fühlen – diese Handgriffe wird er für Jahrzehnte nicht mehr tun können. Jahr(!)zehnte! 
In einem Gefängnis – das Gedächtnistagebuch kennt nur Tage, keine Jahreszahlen, geschweige denn Orte – wird er gleich mit Schreien, später mit Blut und Hautfetzen bekannt gemacht. Auch die Foltersituationen sieht er anfangs mit eigenen Augen. In einen Autoreifen gezwängt, der an der Decke befestigt ist, wird einem Gefangenen das Fleisch von den Fußsohlen geprügelt. Dem Ich-Erzähler blüht alsbald das Gleiche. Und alles nur, weil er in Paris, im Gespräch mit Freunden, einem zu aufgeschlossenen Ohr unverhohlen seine Meinung über den Präsidenten mitteilte. Dieses offene Ohr hatte nichts Besseres zu tun als seinen Bericht postwendend an die Behörden in Syrien weiterzuleiten. 
Kaum gelandet beginnt eine Tortur, die man seinem ärgsten Feind nicht wünscht. Getauft und Atheist in einem islamischen Land, das sich eine funktionierende Diktatur aufgebaut hat – hier kann kein Freigeist existieren. Jeder Strohhalm wird ergriffen und im gleichen Moment fällt das Kartenhaus der Hoffnung krachend und schmerzvoll zusammen. Ein Alkoholiker kann seiner Welt entkommen, nur schwer, aber er hat zumindest die Möglichkeit das Licht am Ende des Tunnels zu erreichen. Die Gefängnisse in Syrien haben keine Tunnel. Und erst recht erlaubt man kein Licht. Nicht einmal Stifte und Papier sind erlaubt. Der Ich-Erzähler / Mustafa Khalifa hat nur eine Zuflucht: Sein eigenes Ich. Er zieht sich zurück wie eine Schnecke, die Gefahr wittert. Aus diesem Schneckenhaus heraus beobachtet er die rohe Welt ohne Horizont. Seine Gehirnwindungen sind die Schreibblöcke. Denn nicht nur die Gefängnisbetreiber und Bediensteten trachten ihm nach dem Leben. Er wird als Muslimbruder in den Büchern geführt. Die sind dem Assad-Regime ein Dorn im Auge. Die Muslimbrüder im Gefängnis beäugen ihn misstrauisch. Ist er einer von ihnen? Will er sie verraten? Hat er es vielleicht sogar schon getan? 
„Das Schneckenhaus“ wird als das Evangelium der syrischen Revolution bezeichnet. Mit jeder Zeile, die man mit Kopfschütteln – ja, der Mensch ist tatsächlich zu so vielem im Stande zu tun – aufsaugt, beginnt man diesen Zeilen Glauben zu schenken. So was denkt man sich nicht aus! So was ist wirklich passiert, und passiert immer noch. Wer meint, dass so manche Widerwärtigkeit nicht immer wieder in Erinnerung gebracht werden muss, sollte dieses Buch lesen. Man kann nicht oft genug an Derartiges erinnern!

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