Nadine Schneider

 4,7 Sterne bei 14 Bewertungen
Autor*in von Drei Kilometer, Wohin ich immer gehe und weiteren Büchern.

Lebenslauf

geboren 1990 in Nürnberg, studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Regensburg, Cremona und Berlin. Ihr erster Roman Drei Kilometer (2019) wurde u. a. mit dem Hermann-Hesse-Förderpreis und dem Literaturpreis der Stadt Fulda ausgezeichnet.

Quelle: Verlag / vlb

Alle Bücher von Nadine Schneider

Cover des Buches Drei Kilometer (ISBN: 9783990272367)

Drei Kilometer

 (10)
Erschienen am 16.12.2019
Cover des Buches Wohin ich immer gehe (ISBN: 9783990272565)

Wohin ich immer gehe

 (4)
Erschienen am 16.07.2021

Neue Rezensionen zu Nadine Schneider

Cover des Buches Wohin ich immer gehe (ISBN: 9783990272565)
Gwhynwhyfars avatar

Rezension zu "Wohin ich immer gehe" von Nadine Schneider

Sie sind beste Freunde und wollten weg aus Rumänien, aber dann war David verschwunden und Johannes musste alleine fliehen.
Gwhynwhyfarvor 2 Jahren

Der Anfang: «Johannes hatte einen wiederkehrenden Traum. Er träumte, dass sie ihn im Wasser erschossen. Dass sie ihn trafen, während er untergetaucht war, und er nicht mehr genug Kraft hatte, an die Oberfläche zurückzuschwimmen. In dem Moment, als sich die Kugel in seinen Rücken bohrte, wusste er, dass er sterben würde. Er spürte ein Stechen zwischen den Schulterblättern und bog sich nach hinten. Öffnete den Mund, atmete Wasser ein, dachte, ich sterbe, und wachte auf.»


Sie sind beste Freunde und wollten weg aus Rumänien, aber dann war David verschwunden und Johannes musste alleine fliehen. Über die Donau schwimmen am sogenannten Eisernen Tor, einer der engsten und für die Schifffahrt gefährlichsten Stellen der Donau im Grenzgebiet von Rumänien zu Serbien; sie hatten dafür trainiert und er hatte es geschafft, er hat die Ceauşescu-Diktatur hinter sich gelassen. Die erste Zeit in Deutschland war hart: Johannes war in einem Auffanglager für Flüchtlinge als Angehöriger einer deutschen Minderheit gelandet, jobbte als Hilfsarbeiter, bis er die Chance zu einer Ausbildung zum Hörgeräteakustiker erhält. Heute ist er integriert, hat einen guten Job – doch seine Vergangenheit belastet ihn noch heute. Als ihn eines Tages die Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht, kehrt er zur Beerdigung zurück nach Banat in die Heimat. Wie hatte die Mutter ihn gefunden? Er hatte nie Kontakt mit der Familie aufgenommen, auch nicht nach dem Regimezusammenbruch. Was war damals geschehen?


«Wie eine Hand packte ihn die Strömung und zog ihn ruckartig nach links, in die Richtung, aus der das Boot kommen würde. Er begann, dagegen anzuschwimmen, und Wasser schlug ihm ins Gesicht. Er presste die Lippen zusammen, doch mit der nächsten Welle drang es ihm in Nase und Augen. Er hustete und spuckte. Bunte Punkte flimmerten in der Dunkelheit. Er hörte auf zu schwimmen, umklammerte den Reifen und rang nach Atem.»


Nadine Schneider erzählt in der dritten Person. Erinnerungen an die Vergangenheit, Spurensuche nach Identität und nach David – sie geht tief in die Zerrissenheit des Charakters hinein. Die Flucht aus einem «System, das einem keine Zukunftsoptionen bietet, das enorm in die Privatsphäre eingreift».  Schwerhörigkeit und das Schwimmen ziehen sich durch die gesamte Familie, das Überwasserhalten in schweren Zeiten, das Abtauchen und Untergehen. Die Familie, die Großmutter mütterlicherseits und die väterlicherseits; arm und reich, Gegenpole. Der Vater, ein gewalttätiger Säufer, ein Bruder, der sich im Gemüsegarten erschossen hat; der Freund, der mehr als ein Freund war. Familie, Freundschaft, Verlust, Verrat, Verachtung. Geschickt lässt die Autorin Leerstellen. Völlig unaufgeregt blättert sie die Geschichte von vorn nach hinten auf. Eine unausgesprochene Feindseligkeit an allen Ecken brodelt im Untergrund bis zum wirklich bitteren Ende. Johannes wird erfahren, was damals geschah, und er ist genauso geschockt wie der Lesende. 


«Man konnte seine Familie verlassen, man konnte hunderte von Kilometern zwischen sich und die Orte seiner Kindheit bringen, man konnte gut vergessen üben, mit einem tückischen Fluss im Rücken, der einen trennte von den ganzen Verwandten und Verschwägerten, von den Blutsbanden, den Wie-aus-dem-Gesicht-Geschnittenen, aber eine Familie ließ sich so leicht nicht loswerden. Sie hatte ihre eigenen Wege und früher oder später begegnete man ihr auf einem dieser Wege wieder.»


Der Debütroman «Drei Kilometer» hatte mir bereits sehr gefallen. Und dieser hier ist genauso gut. Nadine Schneider beginnt sanft, lässt ein paar Wellen tänzeln, bevor sie zum Sturm aufbläst. Die spannende Flucht, es folgt das neue Leben, lustlos grüßt täglich das Murmeltier, in der Nacht quälen Träume. Die Rückkehr in das Land, in dem man alles zurückließ, jahrelang ausgesperrt aus der Erinnerung, blättert sich nun vor dem Protagonisten auf. Die Landschaft hat sich nicht verändert. Und wie sieht es mit den Menschen aus? Rückblenden, Erinnerungen, Puzzleteile setzen sich für den Leser zusammen, füllen sich mit Unausgesprochenem. Eine distanzierte Familie, eine verschnupfte Mutter, lästige Verwandte, eine verstummte Großmutter, die kaum noch etwas hört – schon gar nicht etwas hören will. David und seine Familie wie ausgelöscht – die waren eines Tages weg. Eben weg. Wie Johannes. Der war eines Tages ebenfalls verschwunden. Ein geschickt konstruierter Roman mit Tiefgang, handwerklich fein ausgearbeitet. Ein Genuss, diesen Roman zu lesen, Empfehlung!


«In Familien lebt man eine Weile, fühlt sich aufgehoben oder nicht. Man erträgt Einiges und überhört Vieles, man steht selten einfach auf und geht. Man sagt kaum einmal, was man wirklich denkt, wundert sich über die Menschen, die man, würde man ihnen als Fremde an einem Ort zufällig begegnen, vermutlich kein zweites Mal sehen wollen würde. Man liebt, obwohl man nicht will, und man verachtet noch leidenschaftlicher. In Familien stirbt man.»



Nadine Schneider studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Regensburg, Cremona und Berlin. Ihr erster Roman Drei Kilometer (2019) wurde u.a. mit dem Hermann-Hesse-Förderpreis und dem Literaturpreis der Stadt Fulda ausgezeichnet. Nach Stationen an der Komischen Oper und der Vaganten Bühne Berlin arbeitete sie für den Bundeswettbewerb Gesang. Nadine Schneider lebt in Nürnberg.


Cover des Buches Wohin ich immer gehe (ISBN: 9783990272565)
Buecherschmauss avatar

Rezension zu "Wohin ich immer gehe" von Nadine Schneider

Wunderschöner Text
Buecherschmausvor 2 Jahren

2019 bezauberte Nadine Schneider mit ihrem Roman Drei Kilometer nicht nur die Jury des Bloggerpreises für Literatur Das Debüt, sondern sie erhielt auch den Hermann Hesse Förderpreis, den Literaturpreis der Stadt Fulda und den Vera-Doppelfeld-Förderpreis. In Wohin ich immer gehe, das diesen Sommer erschien, zeigt Nadine Schneider, dass ihr auch der oft so schwere zweite Roman ganz wunderbar gelungen ist.

Beide Bücher gleichen sich und sind doch verschieden. Rumänien, das Banat, aus dem die Eltern der 1990 in Nürnberg geborenen Autorin nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nach Deutschland emigriert sind, ist auch im neuen Roman Zentrum des Schreibens. Geht es allerdings in Drei Kilometer um eine junge Frau, die kurz vor dem Ende der Ceaușescu-Diktatur zwischen zwei Männern hin und her gerissen ist, zwischen dem Bleiben in der Heimat und der Familie und dem Fortgehen, hat im neuen Roman die Flucht bereits stattgefunden. Und diesmal wählt Nadine Schneider keine Ich-Erzählerin, sondern die personale Perspektive eines jungen Mannes, Johannes.

Der Ort der Handlung ist aber der gleiche: die ländliche rumänische Grenzregion zu Jugoslawien. 1987 durchschwimmt hier Johannes die Donau am Eisernen Tor, wo der Fluss sich auf eine Breite von 200 Meter verengt. Patrouillenboote, Strömungen, steile Ufer gefährden das Unternehmen. Besonders belastet ihn aber die Tatsache, dass die Flucht eigentlich mit seinem Jugendfreund David geplant war. Kurz vorher verschwand dieser aber unerklärlicherweise.

Das Buch beginnt mit dem wiederkehrenden Alptraum, bei dem Johannes auf seiner Flucht im Wasser erschossen wird. Wir begegnen ihm allerdings erst im Jahr 1993. Nach seiner Flucht hat sich Johannes als Hörgeräteakkustiker ausbilden lassen, ein in der Literatur eher exotischer Beruf. Er ist aber symbolträchtig, denn nicht nur der Vater und die Großmutter litten unter früher Schwerhörigkeit, auch Johannes fühlt sich dadurch bedroht. Das Rauschen der Donau in den Ohren, der Schmerz, den er im Ohr hatte, als der Vater ihm recht unsanft das Schwimmen „lehrte“.

Überhaupt der Vater. Er ist Anlass für zahlreiche Rückblenden in die Kindheit und Jugend und für die erste Heimreise nach der Flucht. Denn der Vater ist gestorben, teilt ihm die Mutter in einem knappen Brief mit. Johannes hat nach seiner Flucht alle Brücken hinter sich abgebrochen. Der gewalttätige, nie zufrieden zu stellende Vater, die eigene verheimlichte Homosexualität, die verleugnete Liebe zu seinem Kindheitsfreund David und ein schrecklicher Verdacht begleiteten ihn nach Deutschland. Ganz im Westen angekommen scheint Johannes immer noch nicht zu sein. Auch wenn seine Arbeit und vor allem die Freundschaft zu seiner Arbeitskollegin Giulia ihn zeitweise glücklich zu machen scheinen, spürt man als Leser:in eine große Einsamkeit, eine Melancholie, eine gewisse Gebrochenheit.

"In Familien lebt man eine Weile, fühlt sich aufgehoben oder nicht. Man erträgt Einiges und überhört Vieles, man steht selten einfach auf und geht. Man sagt kaum einmal, was man wirklich denkt, wundert sich über die Menschen, die man, würde man ihnen als Fremde an einem Ort zufällig begegnen, vermutlich kein zweites Mal sehen wollen würde. Man liebt, obwohl man nicht will, und man verachtet noch leidenschaftlicher. In Familien stirbt man.“

Und nun die Heimkehr. Nadine Schneider lässt mit Vergnügen die Banater Verwandtschaft in ihrem Dialekt losschwätzen. Es wird aber nie heimelig, denn da ist auch viel Zwietracht, Neid, Misstrauen zu spüren. Die Mutter des Vaters, die „Stadt-Oma“, war immer eine stramme Parteigängerin Ceaușescus. Der Selbstmord des Bruders, nicht der erste und einzige in der Familie, hängt bedrückend über allem. Und dann ist da noch das merkwürdige Verschwinden Davids. Nadine Schneider lässt Leerstellen in ihrem eher schmalen Roman, erzählt erfreulicherweise nicht alles aus.

„Es gab nichts mehr zu tun hier. Es war nicht nur der Vater gestorben, irgendwie hatte auch alles andere aufgehört, zu leben, vor allen ein Gefühl, von dem Johannes gedacht hatte, er müsse es noch haben.“

Nadine Schneider gelingt in Wohin ich immer gehe wieder eine leicht schwebende Atmosphäre, die trotz aller Schwere der angerissenen Themen nicht erdrückt. Die Sprache ist so schön wie in ihrem Erstling, die Erzählung ruhig fließend, die Stimmung melancholisch. Eine ganz große Leseempfehlung!

Cover des Buches Drei Kilometer (ISBN: 9783990272367)
W

Rezension zu "Drei Kilometer" von Nadine Schneider

Gut
Wepievor 4 Jahren

Man erhält einen Einblick wie das Leben in Rumänien unter der Diktatur von Ceausecu ist. 

Ich fand das Buch ganz gut. Alledings hätte ich erwartet das man mehr erfährt wie Ceausecu gestürzt worden ist. Und wie es in Rumänien war als er tot war.

Gespräche aus der Community

Starte mit "Neu" die erste Leserunde, Buchverlosung oder das erste Thema.

Community-Statistik

in 22 Bibliotheken

auf 10 Merkzettel

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks