Wie schreiben über das unschreibbare? Plötzlich tot, ein Unfall, selbstverschuldet, in einem unzurechensfähigen Zustand, mit Mitte 20, der eigene Sohn...
Wie schreiben über das aus dem Leben, der Zeit, der Welt gerissen sein? Wie diesen Schmerz verarbeiten, wie weiterleben, wie es erschreiben?
Und warum so ein Buch lesen? Autofiktion über den plötzlichen Tod des eigenen Kindes. Diese Frage stellt sich mir normalerweise nicht, nicht im Leben, nicht in der Literatur, denn es verschreckt mich wenig. Aber der eigene Sohn, plötzlich, weg, für immer, ja das ist auch mein wundster Punkt...
Aidt schafft es, mit Carl's Buch ein berührendes, schmerzendes und tröstendes Buch zu schreiben über dieses Jahr außerhalb von allem, rund um den Tod ihres Sohnes Carls, der Pilze mit seinem Freund konsumierte und in einem negativen Trip aus dem Fenster sprang. Ein ganz normaler junger Mann, keine besonderen Probleme. Ein ganz besonderer junger Mann, ganz normale Probleme.
Fragmentarisch, lyrisch, allgemein, weit weg, ganz nahe, nehmen wir teil an den Reaktionen der Autorin, der Mutter. Aidt gelingt es, das unbeschreibbare zu beschreiben, uns mitzunehmen in ihren Gedanken, ihren Schmerz, ihre Veränderung, in ihre Ruhe und Trost.
Es ist ein sehr persönliches Buch und es ist ein universelles, lesenswertes Buch. Das Leben und der Tod, es sind zwei Punkte, das Leben ist dazwischen, kein Entrinnen, wir kommen von einem Punkt, zum anderen, immer. Dieses Buch lohnt sich und es bewegt in tiefen Schichten, es verbindet sich etwas mit diesem Text.
Naja Marie Aidt
Lebenslauf
Quelle: Verlag / vlb
Alle Bücher von Naja Marie Aidt
Schere, Stein, Papier
Carls Buch
Süßigkeiten
Das Wasserzeichen
Neue Rezensionen zu Naja Marie Aidt
Puh. Nach dem Buch musste ich mich erstmal setzen. Vielleicht ist es schwerer das Buch zu verkraften, wenn man Mutter ist, wie ich. Also hier die Trigger Warnung- die Trauer in diesem Buch ist echt und roh und gnadenlos greifbar.
Eine Mutter verliert Ihren 25 jährigen, geliebten Sohn. Er springt aus dem Fenster, in Folge des Konsums von psychedelischen Pilzen. Es hätte evt.verhindert werden können. Die tragische Geschichte von Carl hat mich tief bewegt, die Trauer der Familie, der Mutter und seiner Freunde war kaum auszuhalten.
Das Buch ist vollkommen chaotisch geschrieben und dennoch finden sich immer wieder Bruchstücke des Abends wieder, an dem es geschehen ist. Es ist ein Mix aus Zitaten, Gedichten und Gedanken. Am Ende entsteht aber ein sehr klares Bild der Geschehnisse und das hat mich ziemlich umgehauen. Wer hier nicht weinen muss, ist wohl aus Stein.
Kann ich dieses Buch empfehlen? Ja. Wer hartgesotten genug ist, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, dem gibt es vielleicht eine Botschaft mit.
Ein Bruder sagte auf der Beerdigung, dass er hoffe, dass alle etwas daraus lernen. Ich kann sagen, in Sachen Demut, lernt man viel.
Alles Liebe für Naja, die Autorin, die all das erleben und verarbeiten musste. Danke, für deine Geschichte.
Ein Buch wie dieses kann man nicht erfinden, sich ausdenken oder gar planen. Niemand ist in der Lage, etwas über eine Haltestelle, die im Lebensplan nicht eingezeichnet und vorgesehen war, zu erzählen. Als Mutter und Vater hat man eher panische Angst davor und versteckt sich vor solchen Gedanken. Für die dänische Schriftstellerin Naja Marie Aidt gibt es ein solches Versteck nicht mehr.
Anfang 2015 stand sie mit Carl, dem zweitältesten ihrer vier Söhne, in der Küche, und sie erinnerten sich an seinen mit 94 Jahren verstorbenen Urgroßvater. Carl sagte, dass er keine Angst vor dem Tod hätte. Im Gegensatz zu seiner Mutter möchte er nicht verbrannt, sondern ganz normal begraben werden, um "in den großen Kreislauf einzugehen". Seine Mutter erwiderte, dass sie dies Gott sei Dank nicht erleben würde.
Wie sie sich täuschen sollte. Drei Monate später starb ihr Sohn unter einer ganzen Verkettung tragischer Umstände und riss damit ein nicht zu stopfendes Loch in die gesamte Familienstruktur. Ohne jede Vorwarnung war nichts mehr so, wie es vorher war. Eine Welt brach zusammen. Nichts ging mehr. Selbst das Schreiben nicht.
"Es gibt keine passende Form."
Und doch schaffte es seine Mutter, ihm ein ganzes Buch zu widmen. Ein unfassbarer Kraftakt, entstanden aus der Liebe zu ihrem Sohn, die jetzt im schwerelosen Raum ohne greifbaren Bezugspunkt einerseits nicht mehr existieren, andererseits aber nicht einfach enden kann.
Es gibt in diesem Werk keine "Ordnung", die man von einer Thematik wie dieser vielleicht erwarten würde. Keine Überschriften, keine Kapitel und kein durchstrukturiertes Erzählen. Vielmehr bestehen die Erinnerungen an Carl aus locker und scheinbar wahllos eingefügten Tagebucheinträgen und Kindheitserinnerungen, die sich mit sehr persönlichen Reaktionen nach dem Unfall, sowie zahlreichen Literaturverweisen, ständig abwechseln. Wie sollte man unendliche Trauer und manchmal auch unbändige Wut irgendwie sinnvoll sortieren!?
"Die Wut ist stumpf und grenzenlos."
Und doch bildet jener späte Anruf in der Nacht eine Art roten Faden, der immer wieder eingeflochten und stets ein Stück weiter erzählt wird, so als ob es der Autorin unmöglich erscheinen würde, diese fatale Nachricht und die unmittelbaren Folgen in einem Stück zu schildern.
Sie lässt nichts aus. Selbst den genauen Polizeibericht nicht, der entsetzliche Details enthält und zum Erschütterndsten gehört, was der Rezensent jemals gelesen hat. Wie viel Kraft muss man aufbringen, dies alles auszuhalten und vielleicht gehört es zum viel zitierten "Loslassen" dazu.
"Jetzt ist er Teil der Ewigkeit."
Carls Buch bietet keine Patentrezepte zur Trauerbewältigung. Eine genaue Anleitung fehlt. Gebrauchsanweisungen für so einen Verlust gibt es nicht wirklich, und jedem, dem gleiches widerfährt, ist gezwungen, einen eigenen Weg zu finden. Und diesen gibt es immer. Carls Buch zum Beispiel.
Ein Buch, wie keines zuvor.
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