Rezension zu "Befreiung zur Lust" von Nancy Friday
„Befreiung zur Lust“ von Nancy Friday kann man nicht auf Anhieb in ein Genre einordnen. Hier kommt es darauf an, wie man es liest - dazu später mehr.
Einerseits kommt das Buch als Sachbuch daher, das einen psychologischen Einblick in das menschliche Sexualverhalten einer gehemmten Gesellschaft geben möchte. Es spezialisiert sich hierbei ganz auf Gedanken, Wünsche und besonders Masturbationsphantasien von Frauen und ist auch direkt an die Frau als Zielgruppe gerichtet. In gewissem Maße soll die Leserin aufgeklärt und von gängigen Vorurteilen und Hemmungen befreit werden, indem „normale“ Leserinnen wie sie selbst ihre eigenen sexuellen Phantasien und Erlebnisse beschreiben.
Andererseits handelt es sich auch um ein erotisches Buch. Denn die Beispielphantasien sind durchaus plastisch und detailgetreu beschrieben.
Um den Inhalt des Buches einordnen zu können, muß man wissen, dass es aus dem Jahr 1993 stammt und in den USA geschrieben wurde. Grundlage des Buches ist eine Aufforderung in einem ähnlichen Buch Nancy Fridays aus dem Jahr 1973, die eigenen Masturbationsphantasien aufzuschreiben und ihr zuzusenden. Beide Bücher bestehen hauptsächlich aus diesen Zuschriften von Amerikanerinnen zwischen 16 und 70 Jahren (meistens jedoch zwischen 20 und 40).
Das Buch beginnt zunächst mit einer 70-seitigen Einführung, die im Grunde beschreibt, wie sich die Phantasien seit ihrem ersten Buch dieser Art bis zu diesem Buch (also von 1973 bis 1993) verändert haben. Sie beschreibt, wie gehemmt Frauen damals waren und dass sie heute sehr viel freier zu ihrer Sexualität stehen und in dieser Hinsicht Selbstbewusstsein entwickelt haben. Dabei wird immer wieder ausführlich und teils sehr langatmig darauf hingewiesen, wie wichtig die Rolle der Eltern als Vorbilder und die der Mutter als Bezugsperson ist.
Nach der Einleitung ist das Buch in verschiedene Abschnitte gegliedert, die sich an den Inhalten der Phantasien orientieren, d.h. lesbische Phantasien, Dominations- und Unterwerfungsphantasien, verbotene Phantasien usw.
Jeder dieser Abschnitte wird von der Autorin eingeleitet und anschließend mit einigen Leserzuschriften beschlossen. Auch diese Einleitungen sind unheimlich langweilig geschrieben und enthalten eigentlich keinen Wissensgewinn. Auch handelt es sich bei der Autorin um keine Psychologin, wie man annehmen könnte, sondern um eine Journalistin, so dass also bestenfalls pseudowissenschaftliche Aussagen zu erwarten sind.
Meiner Meinung nach ist man also besser damit beraten, diese kurz zu überfliegen und sich dann den Zuschriften zu widmen.
Diese Zuschriften geben dem Buch dann aber doch eine außergewöhnliche Note. Eingeleitet mit kurzen Angaben zu Ausbildung, Alter, Herkunft und Angaben zu den frühesten Begegnungen mit der eigenen Sexualität der Schreibenden folgt eine Beschreibung der eigenen MasturbationsPhantasien, die teils ergänzt werden mit den Gedanken und Wünschen der schreibenden Frauen.
Wer für den Abend oder zu anderen Gelegenheiten eine Sammlung kurzer erotischer Texte sucht, ist hier also genau richtig. Grob in die angesprochenen Abschnitte gegliedert, bietet das Buch die ganze Bandbreite sexueller Neigungen. Ob sanft oder hart, vulgär oder blümerant, ob gehemmt oder leidenschaftlich, homo- oder heterosexuell, ob oral, anal, oder „normal“ - es ist alles enthalten bis hin zu „verbotenen“ Phantasien mit Hunden oder den eigenen pupertierenden Kindern. Und wenn die eine oder andere Phantasie zu seicht, zu langweilig, oder zu hart und abstoßend daherkommt, blättert man einfach eine Seite weiter und liest die nächste. Und so ganz nebenbei kann man seine voyeuristische Ader bei dem Gedanken bedienen, dass diese Texte nicht ausgedacht, sondern aus der Feder existierender Menschen stammt. Als Mann - und vielleicht auch als Frau - erwischt man sich dann das eine oder andere Mal bei dem Gedanken „Aha - es gibt doch Frauen, die das erregend finde!?“
Es gibt also, wie schon erwähnt mehrere Arten, das Buch zu lesen. Das Vorhaben, von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen - als Sachbuch also, kann ich allerdings aus eigener Erfahrung nicht empfehlen. Wie wäre es stattdessen mit der Idee, einfach eine Seite aufzuschlagen und sich überraschen zu lassen, welche Phantasie sich in dem ausgewählten Text verbirgt?
Fazit:
Ein Buch, dass zwar hauptsächlich an Frauen gerichtet ist und im Grunde ein Aufklärungsbuch und nur ein kleines bißchen ein erotisches Buch sein will, was allerdings als kleine erotische Lektüre für zwischendurch sehr viel Freude bereiten kann - für Männer genauso, wie für Frauen.
Übersieht man die pseudoanalytischen Aussagen der Autorin, hat man eine wunderbare Anthologie erotischer Phantasien vor sich.
Da kann man nur sagen: Viel Spaß beim Lesen!